sunflowers
Geschichten
Die Geschichte von der goldenen Sonnenblume
Im Futterhäuschen lärmten die Vögel. Amseln und Spatzen balgten sich um die Samenkörner und die fetten Talgkerne. Mit lautem Geschrei flog eine Amsel hoch auf den kahlen Apfelbaum. Im Schnabel hatte sie drei schöne Sonnenblumenkerne. Schwupp, rutschte ihr ein Kern herunter und fiel auf den vereisten Boden. Er rollte in eine Erdspalte neben dem Gartenzaun. Schneeflocken deckten ihn zu. Er schlief und schlief den ganzen Winter lang, bis die Frühlingssonne die Erde erwärmte. Er reckte und streckte sich. Die braune Schale lockerte sich, und ein grüner Trieb zwängte sich durch das Erdreich zum Licht. Die spitzen braunen Pfähle des Gartenzauns schauten mitleidig auf die zarten grünen Blätter. "Schade, daß du keine Feuererbse bist!" sagten sie. "Oder vielleicht auch eine bunte Wicke. Dann könntest du schnell an unseren Pfählen emporklettern und oben die bunten Blüten ausbreiten. Aber wir haben dich kleinen Kern ja im Herbst gesehen. Aus so einem kümmerlichen Ding kann nie etwas Ordentliches werden." Die Zweige vom Apfelbaum und Birnbaum nickten bekräftigend. "Es ist ein Jammer, daß du so auf der Erde herumkriechen mußt!" riefen sie. "Schau uns an! Hoch hinaus muß man steigen, der Sonne entgegen. Dann kann man auch süße große Früchte tragen."In diesem Augenblick kam ein Mann mit einer langen Leiter in den Garten. Er hatte eine große Schere in der Hand. "Wir sind ja schon still!" flüsterten die Zweige erschrocken. Aber ritsche-ratsche, da war es schon um sie geschehen. Der Mann schnitt und stutzte die Bäume zurecht, daß sie ganz zerrupft aussahen. Die Sonnenstrahlen konnten nun viel besser auf den Erdstreifen am Zaun entlang scheinen. Die Sonnenblume wuchs höher und höher. Die Latten am Gartenzaun musterten anerkennend den kräftigen grünen Stengel:"Sonnenblume, Sonnenblume, wag dich nur hervor!Streck dich kräftig in die Höhe, wachs an uns empor",knarrten sie. Die Sonnenblume streckte ihre schönen breiten grünen Blätter aus. Sie wuchs und wuchs. Bald hatte sie die Feuererbsen und Lilien eingeholt und konnte über die spitzen Latten des Zaunes auf die Straße schauen.Inzwischen war der Garten bunt geworden. Die rotbackigen Äpfel und die gelben Birnen leuchteten zwischen den Blättern hervor. Die Dahlien und Gladiolen fingen an zu blühen. Da bildeten sich am Stengel der Sonnenblume mehrere runde grüne Teller heraus. Kern an Kern legte sich nebeneinander, und die Blütenblätter färbten sich goldgelb. Die Amseln und Spatzen schauten mitunter begehrlich auf die schönen grünen Körnerteller. Sie zwitscherten:"Zeig uns deine vollen Körbe, rund und fett und schwer!Bald reichst du die reifen Körner für uns Vögel her."Und dann war es endlich soweit! Die vollen braunen Blütenkörbe mit dem leuchtenden Kranz von Blütenblättern nickten über den Zaun. Die Autofahrer warfen freundliche Blicke auf die schöne große Sonnenblume. Die Spaziergänger blieben stehen und bewunderten sie. Die Pfähle des Lattenzauns hatten ganz vergessen, daß sie die kleinen Körner ausgelacht hatten. Sie knarrten ganz stolz:"Kommt doch her, ihr vielen Leute, hier gibt's was zu schaun.Seht, ein goldnes Sonnenwunder blüht an unserm Zaun."Und die Sonnenblumen reichten bereitwillig ihre vollen Körbe her. Sie freuten sich, wenn die Amseln und Dompfaffen sich richtig satt pickten. Den Rest holten sich die Kinder fürs Futterhäuschen. Wißt ihr noch, wie die Geschichte angefangen hatte? Dann könnt ihr sie gleich noch einmal erzählen!
Aus: Barbara Cratzius, Herbst im Kindergarten © Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1989.
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Geschichten
Die Geschichte von der goldenen Sonnenblume
Im Futterhäuschen lärmten die Vögel. Amseln und Spatzen balgten sich um die Samenkörner und die fetten Talgkerne. Mit lautem Geschrei flog eine Amsel hoch auf den kahlen Apfelbaum. Im Schnabel hatte sie drei schöne Sonnenblumenkerne. Schwupp, rutschte ihr ein Kern herunter und fiel auf den vereisten Boden. Er rollte in eine Erdspalte neben dem Gartenzaun. Schneeflocken deckten ihn zu. Er schlief und schlief den ganzen Winter lang, bis die Frühlingssonne die Erde erwärmte. Er reckte und streckte sich. Die braune Schale lockerte sich, und ein grüner Trieb zwängte sich durch das Erdreich zum Licht. Die spitzen braunen Pfähle des Gartenzauns schauten mitleidig auf die zarten grünen Blätter. "Schade, daß du keine Feuererbse bist!" sagten sie. "Oder vielleicht auch eine bunte Wicke. Dann könntest du schnell an unseren Pfählen emporklettern und oben die bunten Blüten ausbreiten. Aber wir haben dich kleinen Kern ja im Herbst gesehen. Aus so einem kümmerlichen Ding kann nie etwas Ordentliches werden." Die Zweige vom Apfelbaum und Birnbaum nickten bekräftigend. "Es ist ein Jammer, daß du so auf der Erde herumkriechen mußt!" riefen sie. "Schau uns an! Hoch hinaus muß man steigen, der Sonne entgegen. Dann kann man auch süße große Früchte tragen."In diesem Augenblick kam ein Mann mit einer langen Leiter in den Garten. Er hatte eine große Schere in der Hand. "Wir sind ja schon still!" flüsterten die Zweige erschrocken. Aber ritsche-ratsche, da war es schon um sie geschehen. Der Mann schnitt und stutzte die Bäume zurecht, daß sie ganz zerrupft aussahen. Die Sonnenstrahlen konnten nun viel besser auf den Erdstreifen am Zaun entlang scheinen. Die Sonnenblume wuchs höher und höher. Die Latten am Gartenzaun musterten anerkennend den kräftigen grünen Stengel:"Sonnenblume, Sonnenblume, wag dich nur hervor!Streck dich kräftig in die Höhe, wachs an uns empor",knarrten sie. Die Sonnenblume streckte ihre schönen breiten grünen Blätter aus. Sie wuchs und wuchs. Bald hatte sie die Feuererbsen und Lilien eingeholt und konnte über die spitzen Latten des Zaunes auf die Straße schauen.Inzwischen war der Garten bunt geworden. Die rotbackigen Äpfel und die gelben Birnen leuchteten zwischen den Blättern hervor. Die Dahlien und Gladiolen fingen an zu blühen. Da bildeten sich am Stengel der Sonnenblume mehrere runde grüne Teller heraus. Kern an Kern legte sich nebeneinander, und die Blütenblätter färbten sich goldgelb. Die Amseln und Spatzen schauten mitunter begehrlich auf die schönen grünen Körnerteller. Sie zwitscherten:"Zeig uns deine vollen Körbe, rund und fett und schwer!Bald reichst du die reifen Körner für uns Vögel her."Und dann war es endlich soweit! Die vollen braunen Blütenkörbe mit dem leuchtenden Kranz von Blütenblättern nickten über den Zaun. Die Autofahrer warfen freundliche Blicke auf die schöne große Sonnenblume. Die Spaziergänger blieben stehen und bewunderten sie. Die Pfähle des Lattenzauns hatten ganz vergessen, daß sie die kleinen Körner ausgelacht hatten. Sie knarrten ganz stolz:"Kommt doch her, ihr vielen Leute, hier gibt's was zu schaun.Seht, ein goldnes Sonnenwunder blüht an unserm Zaun."Und die Sonnenblumen reichten bereitwillig ihre vollen Körbe her. Sie freuten sich, wenn die Amseln und Dompfaffen sich richtig satt pickten. Den Rest holten sich die Kinder fürs Futterhäuschen. Wißt ihr noch, wie die Geschichte angefangen hatte? Dann könnt ihr sie gleich noch einmal erzählen!
Aus: Barbara Cratzius, Herbst im Kindergarten © Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1989.