continental haubtversammlung hauptversammlung (so besser?) hannover
QUELLE: SPIEGEL.DE www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,620772,00.html
Es war ein Hauch von Aufstand: Weit über tausend Gewerkschafter aus Frankreich sind nach Hannover gereist, um mit deutschen Kollegen gegen die Schließung zweier Reifen-Werke durch Continental zu kämpfen. IhrProtest war friedlich, aber extrem lautstark.
Hannover - Ohrenbetäubendes Sirenengeheul und heiseres Gegröle begleitet die Menschenmasse, die sich durch die Straßen von Hannover wälzt. "Continental, Solidarität" skandieren die Marschierenden, es knallt und qualmt, riecht nach Schmauch. Die Franzosen haben beängstigend dicke Silvesterknaller mitgebracht, die jetzt alle paar Meter abgefackelt werden. Dazu alles, was sonst noch lärmt, Trompeten, Kuhglocken, Bongotrommeln.
Überdreht wirken viele der Protestierenden mit ihren bunt beklebten Helmen, den Perücken und schwarzen Papp-Kreuzen. Die meisten haben tief rot unterlaufene Augen. Rund Tausend sind die ganze Nacht durchgefahren, ein Sonderzug hat sie von Clairoix nach Hannover gebracht. Es ist offensichtlich, dass dabei nicht nur Kaffee getrunken wurde. "Wir wollen friedlich protestieren", sagt einer von ihnen. Und etwas nachdrücklicher: "Aber sie dürfen uns nicht ärgern."
"Weltgewerkschaft der Conti-Mitarbeiter" wird geplant
Sie, das sind die Führungskräfte des Reifenherstellers Continental, die an diesem Tag in Hannover die Hauptversammlung einberufen haben. Es geht dabei nicht nur um die internen Querelen der einstigen Spitze und der neuen Eigentümerfamilie Schaeffler, die um ihre Vormacht kämpft. Es geht auch um die Schließung der beiden Reifenwerke in Clairoix und Hannover. 1200 beziehungsweise 700 Stellen will Continental abbauen, die Produktion komplett einstellen. Um diese Entscheidung zu verhindern, haben sich deutsche und französische Gewerkschaften zusammen getan, diesen Protest organisiert, so etwas gab es noch nie. "Eine ganz neue Qualität", jubelt der Chef des Euro-Betriebsrats, Jörg Schustereit.
3000 Demonstranten sind es am Ende, sagen die Veranstalter. Sogar drei Kollegen aus Mexiko sind angereist, sie halten schon am Bahnhof unermüdlich Spruchbänder hoch und drücken den Neuankömmlingen Flugblätter in die Hand. Eine "Weltgewerkschaft der Conti-Mitarbeiter" wollen sie aufbauen, heißt es später. Bislang haben sie freilich nicht einmal die Telefonnummer der Gewerkschaftszentralen in Frankreich - doch das soll sich ändern. "Wir wollen Kontakt aufnehmen, eine gemeinsame Front aufbauen", sagt Enrique Gòmez.
Nicht nur der Conti-Führung dürfte angesichts des Massenprotests mulmig werden, sondern auch so manchem Politiker. Am Mittwoch hatte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, angesichts des dramatischen Wirtschaftsabschwungs vor sozialen Unruhen im Land gewarnt - ein Gedanke, der plötzlich nicht mehr vollkommen abwegig erscheint.
In Frankreich scheint in vielen Unternehmen schon der Ausnahmezustand zu herrschen. Manager, die Mitarbeiter entlassen wollen, werden in Geiselhaft genommen. Im Conti-Werk in Clairoix gehen regelmäßig Reifen in Flammen auf, einmal lynchten Mitarbeiter der "Zeit" zufolge symbolisch eine überlebensgroße Puppe, die den Fabrik-Direktor darstellte. Diese Woche verwüsteten Conti-Arbeiter mehrere Räume in einer Behörde und das Wachhäuschen der Fabrik. Ein Gericht hatte zuvor ihre Klage gegen die Schließung der Fabrik abgeschmettert.
Auch in Hannover brodelt es. Gerüchte machen die Runde, eine Gruppe von Franzosen plane nach der Protestveranstaltung noch Attacken mit kleinen Steinschleudern - auf wen auch immer. Ein Mitglied der Gewerkschaft CGT beruhigt: Selbst wenn das geplant war, habe man am Vortag noch mal ein ausdrückliches Bekenntnis abgelegt, auf Gewalt zu verzichten. Die deutschen Gewerkschafter seien sehr vorsichtig gewesen, fügt er hinzu. "Sie haben bei allen möglichen Sachen gesagt: Das geht nicht, das geht nicht."
"Wenn ein Auto brennt, habe ich nichts dagegen"
Dabei macht auch manch deutscher Kollege keinen Hehl daraus, dass er gar nichts dagegen hätte, wenn mal etwas zu Bruch ginge an diesem Tag. "Ich halte keinen fest", erklärt ein 42-jähriger Industriemechaniker. Ein anderer, der sich aus schwarzem Stoff eine Art Zorro-Maske zusammengeschnitten hat, erklärt: "Wenn ein Auto brennt, habe ich nichts dagegen. So lange es nicht zu Personenschäden kommt…" Er selber würde dafür auch "in den Knast gehen", ruft er dann. Man ist sich nicht ganz sicher, ob der Ausruf der Euphorie der Stunde und der Dose Bier in seiner Hand zu verdanken ist - oder ob er es wirklich ernst meint.
Es sind Einzelstimmen. Doch der kritische Moment, den manch einer vielleicht insgeheim herbeiwünscht, lässt nicht lange auf sich warten. Der offizielle Teil der Veranstaltung ist da schon vorbei, die meisten deutschen Kollegen sind längst nach Hause gegangen. Da stehen plötzlich Hunderte Franzosen nicht mehr auf der Wiese mit der Bühne, sondern vor dem Eingang des Congress Centrums. Breitbeinig, die Arme verschränkt, der Lärm des Morgens ist gespannter Stille gewichen. Sie wollen sichergehen, dass das Versprechen eingehalten wird. Dass ihre 5-Mann-Delegation Zugang erhält, um im Innern des herrschaftlichen
Für Conti-Betriebsratschef Jörg Schustereit ist es die wohl härteste Stunde des Tages. Er will, dass es friedlich bleibt. Hektisch verhandelt er mit den Aufpassern am Eingang, wer rein darf und wer nicht. Kaum ist das geklärt, gibt es schon das nächste Problem: Auf einer Aktionärsversammlung dürfen nur Anteilseigner reden. Irgendwie kriegt Schustereit auch das hin, unter den hunderten HV-Teilnehnmern findet sich einer, der Aktien hat, Betriebsrat ist, die Erklärung der Franzosen sogar noch vom Blatt auf Deutsch übersetzen kann.
"Ihr Geldbeutel ist an Stelle Ihres Herzens gerutscht", erklärt der Mann in dem blauen Anzug also den versammelten Aktionären. Dann reißt einer der Franzosen das Mikrofon an sich - und ruft lauthals "Arschloch". Und während ihn die deutschen Kollegen schon aus dem Saal bugsieren, noch mal und noch mal: "Arschloch, Arschloch". Mit dem Zeigefinger deutet er dabei auf die Führungskräfte des Konzerns, die mit versteinerten Mienen auf der Bühne sitzt.
Draußen wird der Mann von seinen Kollegen mit donnerndem Applaus gefeiert, als er von dem Auftritt berichtet. Er verliest noch einmal seine Rede, die drinnen zitiert wurde - seine Kollegen lauschen andächtig. Dann machen sich auch die letzten auf den Rückweg zum Bahnhof. Was passiere, wenn die Geschäftsführung ihre Meinung nicht ändere? "Das gibt Revolution", sagt einer spontan.
Und auch Betriebsratschef Schustereit sagt, man müsse "die Welt schon gerechter machen", damit die Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch funktionieren kann. Die Streikkultur in Deutschland sei zwar sehr viel weniger radikal, als im Nachbarland. Und an soziale Unruhen mag er nicht so ganz glauben. "Aber", sagt er dann nachdenklich, "wenn das nicht hinhaut hier, will ich keine Prognose abgeben."
QUELLE: SPIEGEL.DE www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,620772,00.html
continental haubtversammlung hauptversammlung (so besser?) hannover
QUELLE: SPIEGEL.DE www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,620772,00.html
Es war ein Hauch von Aufstand: Weit über tausend Gewerkschafter aus Frankreich sind nach Hannover gereist, um mit deutschen Kollegen gegen die Schließung zweier Reifen-Werke durch Continental zu kämpfen. IhrProtest war friedlich, aber extrem lautstark.
Hannover - Ohrenbetäubendes Sirenengeheul und heiseres Gegröle begleitet die Menschenmasse, die sich durch die Straßen von Hannover wälzt. "Continental, Solidarität" skandieren die Marschierenden, es knallt und qualmt, riecht nach Schmauch. Die Franzosen haben beängstigend dicke Silvesterknaller mitgebracht, die jetzt alle paar Meter abgefackelt werden. Dazu alles, was sonst noch lärmt, Trompeten, Kuhglocken, Bongotrommeln.
Überdreht wirken viele der Protestierenden mit ihren bunt beklebten Helmen, den Perücken und schwarzen Papp-Kreuzen. Die meisten haben tief rot unterlaufene Augen. Rund Tausend sind die ganze Nacht durchgefahren, ein Sonderzug hat sie von Clairoix nach Hannover gebracht. Es ist offensichtlich, dass dabei nicht nur Kaffee getrunken wurde. "Wir wollen friedlich protestieren", sagt einer von ihnen. Und etwas nachdrücklicher: "Aber sie dürfen uns nicht ärgern."
"Weltgewerkschaft der Conti-Mitarbeiter" wird geplant
Sie, das sind die Führungskräfte des Reifenherstellers Continental, die an diesem Tag in Hannover die Hauptversammlung einberufen haben. Es geht dabei nicht nur um die internen Querelen der einstigen Spitze und der neuen Eigentümerfamilie Schaeffler, die um ihre Vormacht kämpft. Es geht auch um die Schließung der beiden Reifenwerke in Clairoix und Hannover. 1200 beziehungsweise 700 Stellen will Continental abbauen, die Produktion komplett einstellen. Um diese Entscheidung zu verhindern, haben sich deutsche und französische Gewerkschaften zusammen getan, diesen Protest organisiert, so etwas gab es noch nie. "Eine ganz neue Qualität", jubelt der Chef des Euro-Betriebsrats, Jörg Schustereit.
3000 Demonstranten sind es am Ende, sagen die Veranstalter. Sogar drei Kollegen aus Mexiko sind angereist, sie halten schon am Bahnhof unermüdlich Spruchbänder hoch und drücken den Neuankömmlingen Flugblätter in die Hand. Eine "Weltgewerkschaft der Conti-Mitarbeiter" wollen sie aufbauen, heißt es später. Bislang haben sie freilich nicht einmal die Telefonnummer der Gewerkschaftszentralen in Frankreich - doch das soll sich ändern. "Wir wollen Kontakt aufnehmen, eine gemeinsame Front aufbauen", sagt Enrique Gòmez.
Nicht nur der Conti-Führung dürfte angesichts des Massenprotests mulmig werden, sondern auch so manchem Politiker. Am Mittwoch hatte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, angesichts des dramatischen Wirtschaftsabschwungs vor sozialen Unruhen im Land gewarnt - ein Gedanke, der plötzlich nicht mehr vollkommen abwegig erscheint.
In Frankreich scheint in vielen Unternehmen schon der Ausnahmezustand zu herrschen. Manager, die Mitarbeiter entlassen wollen, werden in Geiselhaft genommen. Im Conti-Werk in Clairoix gehen regelmäßig Reifen in Flammen auf, einmal lynchten Mitarbeiter der "Zeit" zufolge symbolisch eine überlebensgroße Puppe, die den Fabrik-Direktor darstellte. Diese Woche verwüsteten Conti-Arbeiter mehrere Räume in einer Behörde und das Wachhäuschen der Fabrik. Ein Gericht hatte zuvor ihre Klage gegen die Schließung der Fabrik abgeschmettert.
Auch in Hannover brodelt es. Gerüchte machen die Runde, eine Gruppe von Franzosen plane nach der Protestveranstaltung noch Attacken mit kleinen Steinschleudern - auf wen auch immer. Ein Mitglied der Gewerkschaft CGT beruhigt: Selbst wenn das geplant war, habe man am Vortag noch mal ein ausdrückliches Bekenntnis abgelegt, auf Gewalt zu verzichten. Die deutschen Gewerkschafter seien sehr vorsichtig gewesen, fügt er hinzu. "Sie haben bei allen möglichen Sachen gesagt: Das geht nicht, das geht nicht."
"Wenn ein Auto brennt, habe ich nichts dagegen"
Dabei macht auch manch deutscher Kollege keinen Hehl daraus, dass er gar nichts dagegen hätte, wenn mal etwas zu Bruch ginge an diesem Tag. "Ich halte keinen fest", erklärt ein 42-jähriger Industriemechaniker. Ein anderer, der sich aus schwarzem Stoff eine Art Zorro-Maske zusammengeschnitten hat, erklärt: "Wenn ein Auto brennt, habe ich nichts dagegen. So lange es nicht zu Personenschäden kommt…" Er selber würde dafür auch "in den Knast gehen", ruft er dann. Man ist sich nicht ganz sicher, ob der Ausruf der Euphorie der Stunde und der Dose Bier in seiner Hand zu verdanken ist - oder ob er es wirklich ernst meint.
Es sind Einzelstimmen. Doch der kritische Moment, den manch einer vielleicht insgeheim herbeiwünscht, lässt nicht lange auf sich warten. Der offizielle Teil der Veranstaltung ist da schon vorbei, die meisten deutschen Kollegen sind längst nach Hause gegangen. Da stehen plötzlich Hunderte Franzosen nicht mehr auf der Wiese mit der Bühne, sondern vor dem Eingang des Congress Centrums. Breitbeinig, die Arme verschränkt, der Lärm des Morgens ist gespannter Stille gewichen. Sie wollen sichergehen, dass das Versprechen eingehalten wird. Dass ihre 5-Mann-Delegation Zugang erhält, um im Innern des herrschaftlichen
Für Conti-Betriebsratschef Jörg Schustereit ist es die wohl härteste Stunde des Tages. Er will, dass es friedlich bleibt. Hektisch verhandelt er mit den Aufpassern am Eingang, wer rein darf und wer nicht. Kaum ist das geklärt, gibt es schon das nächste Problem: Auf einer Aktionärsversammlung dürfen nur Anteilseigner reden. Irgendwie kriegt Schustereit auch das hin, unter den hunderten HV-Teilnehnmern findet sich einer, der Aktien hat, Betriebsrat ist, die Erklärung der Franzosen sogar noch vom Blatt auf Deutsch übersetzen kann.
"Ihr Geldbeutel ist an Stelle Ihres Herzens gerutscht", erklärt der Mann in dem blauen Anzug also den versammelten Aktionären. Dann reißt einer der Franzosen das Mikrofon an sich - und ruft lauthals "Arschloch". Und während ihn die deutschen Kollegen schon aus dem Saal bugsieren, noch mal und noch mal: "Arschloch, Arschloch". Mit dem Zeigefinger deutet er dabei auf die Führungskräfte des Konzerns, die mit versteinerten Mienen auf der Bühne sitzt.
Draußen wird der Mann von seinen Kollegen mit donnerndem Applaus gefeiert, als er von dem Auftritt berichtet. Er verliest noch einmal seine Rede, die drinnen zitiert wurde - seine Kollegen lauschen andächtig. Dann machen sich auch die letzten auf den Rückweg zum Bahnhof. Was passiere, wenn die Geschäftsführung ihre Meinung nicht ändere? "Das gibt Revolution", sagt einer spontan.
Und auch Betriebsratschef Schustereit sagt, man müsse "die Welt schon gerechter machen", damit die Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch funktionieren kann. Die Streikkultur in Deutschland sei zwar sehr viel weniger radikal, als im Nachbarland. Und an soziale Unruhen mag er nicht so ganz glauben. "Aber", sagt er dann nachdenklich, "wenn das nicht hinhaut hier, will ich keine Prognose abgeben."
QUELLE: SPIEGEL.DE www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,620772,00.html