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Franz Josef Degenhardt ist tot.

Den Unterschied machen

Feinsinnig und fundamentalistisch: Zum Tod von Franz Josef Degenhardt

Von Christof Meueler

Emanzipation ist antizipierbar: Franz Josef Degenhardt

Emanzipation ist antizipierbar: Franz Josef Degenhardt

Foto: Thomas Range

Dienstag nacht, 0.26 Uhr sendete die Nachrichtenagentur dapd eine »Zusammenfassung« mit der Überschrift »Liedermacher Franz Josef Degenhardt ist tot«. Dreizehn Zeilen über den »gelernten Rechtsanwalt«, der mit »gesellschaftskritischen Werken (…) gerade in linken Kreisen Kult-Status« genossen hätte. Dreizehn Zeilen, das ist der Umfang einer durchschnittlichen Autounfallmeldung. Stirbt irgendeine Charaktermaske des massenmedialen Boulevardtheaters gibt es zehnmal so viele Zeilen, und manchmal sprechen auch ein oder zwei Mitglieder der Bundesregierung ein paar nette Worte. Beim wichtigsten deutschen Liedermacher Degenhardt, der am Montag nachmittag im Alter von 79 Jahren in Quickborn nahe Hamburg starb, hält man sich offiziell zurück. Das wäre in Frankreich anders, da singt selbst der Elysee-Palast mitunter die Lieder seiner politischen Gegner mit – weil sie zur allgemeinen Kultur gehören und weil man weiß, daß Lieder etwas Schönes sind. Und zwar grundsätzlich und nicht nur, wenn man einen im Tee hat.

 

Das sei hier nur deshalb festgestellt, weil der Kommunist Degenhardt, der beispielsweise 1986 George Brassens auf deutsch gesungen hat, Frankreich immer sehr gemocht hat. Für Deutschland gilt dagegen, was Donna San Floriante anläßlich des 75. Geburtstages von Degenhardt in dieser Zeitung schrieb: »Dem Staat vorzuwerfen, daß er Staatsfeinde als Staatsfeinde behandelt, ist jedenfalls naiv bis albern und verkennt die Radikalität der Degenhardtschen Texte.« Und die sind in der Tat einzigartig: Ebenso feinsinnig wie politisch fundamentalistisch (im bürgerlichen Liberallala mit das verbotenste, was es gibt), voller Gefühl und dabei auch noch mit analytischer Präzision und nonchalantem Witz. Inspiriert von Bertolt Brecht und Bob Dylan, war dieser Stil doch recht schnell in erster Linie FJD oder Karratsch, wie er auch genannt wurde, vorgetragen mit der Alleinstellungsmerkmalstimme im weichen Ruhrpott-Tonfall. Degenhardts Einfluß reicht bis zu Blumfeld, Sterne, Goldene Zitronen.

Radikal werden

Das hat so keiner der Kumpane, wie Degenhardt sich gerne ausdrückte, mit denen er in der bleischweren Adenauerzeit anfing, sich künstlerisch erst locker zu machen, um dann immer radikaler zu werden, so hinbekommen, auch wenn sie teilweise wesentlich musikalischer auftraten. Ab 1964 wurde auf den Festivals der Burg Waldeck im Hunsrück gesungen, Chansons auf deutsch nannte man das, weil doch die traditionellen deutschen Volkslieder von den Nazis buchstäblich zu Tode gesungen worden waren.

 

Auf seiner ersten Platte »Zwischen Null Uhr Null und Mitternacht« (1963) firmierte Degenhardt noch als »Bänkelsänger«, nachdem er anfangs seine Lieder nur der eigenen Familie vorgetragen hatte, bis schließlich sein Bruder Martin Aufnahmen davon an Radio Bremen schickte. Dessen Ehefrau, die Künstlerin Gertrude Degenhardt zeichnete später für die genial versponnene Cover-Kunst der Degenhardt-Platten verantwortlich. Im Prinzip lieferte Degenhardt, der damals als wissenschaftlicher Assistent für Jura an der Universität Saarbrücken promovierte, das linksintellektuelle Surplus an Kritik und Scherz für die wacheren Zeitgenossen im CDU-Staat, wie es auch die Zeitschrift Pardon, die Kabarettisten Wolfgang Neuss und Hans Dieter Hüsch (mit denen er dann kooperierte) oder die Literaten der Gruppe47 taten. Das war sehr poetisch, aber doch vorpolitisch, wie sich in der antiautoritären Revolte der Studenten und jungen Arbeiter herausstellte. Zuerst verteidigte er Linke vor Gericht (für die Anwaltspraxis, in der auch Kurt Groenewold arbeitete), dann sang er 1969 »Reiht euch ein in die neue Front«.

Nicht im Kreis laufen

1971 flog Degenhardt aus der SPD raus, da er die DKP beim Wahlkampf in Schleswig-Holstein unterstützt hatte, weil die SPD »in der Führungsspitze immer mehr zur besseren Vertreterin des Kapitals« geworden sei, wie er im Radio erklärte. Fortan begriff er sich als »parteiloser Anhänger eines Volksfrontbündnisses«. Nur war die DKP, in die er 1978 eintrat, für ein solches Projekt, wiederum völlig anders als in Frankreich, aus verschiedenen Gründen viel zu schwach. Und dann kamen auf einmal die Grünen und erneuerten schrittweise das Bürgertum. Basisliteratur für eine Kritik an eben diesem (und am Kleinbürgertum) sind noch immer die drei Degenhardt-Lieder von 1968: »Notar Bolamus«, »Vatis Argumente«, und »Verteidigung eines alten Sozialdemokraten«. Letzteres mit der Universalpointe: »So geht das nicht (…), sagt der alte, ewige Sozialdemokrat und spricht und spricht und spricht, bloß ändern, das will er nicht!« Und wer dann, wie die Jusos in den 1970er Jahren, den sagenumwobenen »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Kommunismus suchen möchte, für den hatte Degenhardt 1975 in dem Lied »Mit aufrechtem Gang« das Gleichnis parat, daß man sich »mit aufrechtem Gang und menschlichem Antlitz« immerzu im Kreis bewegt.

 

Die DDR, in der seine Bücher und Platten auch veröffentlicht wurden, war für Degenhardt hauptsächlich »Relais- und Hilfsstation im antiimperialistischen Kampf«, wie er 1990 in einem Konkret-Interview Oliver Tolmein sagte. Dabei räumte er auch ein, daß er sich für »die fehlende Öffentlichkeit dort« nicht interessiert habe, was »offensichtlich ein schwerer Fehler« gewesen sei: »Ich und andere haben zwar gelegentlich kritische Anmerkungen gemacht, aber wir hätten nachdrücklich und vehement immer wieder feststellen müssen, daß zum Satz der Gegensatz gehört, und zwar öffentlich«.

Gegen den Sperrkontakt

Übrigens eine Dialektik, die dem bundesdeutschen Mainstream weiterhin vollständig fremdbleibt, wie man jetzt an den Degenhardt-Nachrufen sehen kann. Etwa, wenn der Ex-Maoist Jan Feddersen dem Künstler auf Spiegel online bescheinigt, sein »Weltbild war von teils erbarmungswürdiger Simplizität«, was auf jeden Fall für den herrschenden Betrieb gilt, dem sich Degenhardt ziemlich verweigert hat. In dem Konkret-Interview verwies er auf »einen ganz wichtigen Unterschied zwischen der DKP und der alten SED: Eine DKP-Mitgliedschaft hat eine Karriere in der Regel beendet oder verhindert«. Von ihm lief im BRD-Radio meistens nur »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« von 1965.

 

Über das große gesellschaftliche Ganze, über repressive Toleranz und Kulturindustrie hatte Degenhardt 1968 auf den Essener Songtagen fast schon punkartig »Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf« gesungen. Irgendwann hat er aufgehört, das Lied zu spielen, so wie Rio Reiser auf »Macht kaputt, was euch kaputt macht« von seiner früheren Band Ton Steine Scherben, neben Degenhardt der andere andere grandiose Stützpfeiler linksradikaler Kultur hierzulande, verzichtete. Diese Parolen stimmen ja auch nur auf der Metaebene, sie beständig zu wiederholen, ist monoton. Beide Agitprophits sind gerichtet gegen ein bestimmtes Meinungsmilieu, das phantasielos beständig mehr Phantasie einfordert, um die berühmten kleinen Leute noch kleiner zu machen. In seinem Roman »Brandstellen« (1975) hat Degenhardt diesen Mechanismus mit einer angedeuteten Theorie vom »Sperrkontakt« beschrieben, der funktioniere »bei der Signalreihe: kleine Leute, schlechter Geschmack, Wohnküchenmief, Wohnzimmerkitsch und so weiter. Achtung, nicht kontaktieren«.

 

Natürlich ist Degenhardt genau andersherum vorgegangen und hat in vielen seiner Bücher und Lieder eine literarisch erstklassige Soziologie des Proletariats entfaltet, um die Klassenstrukturen auf unlangweiligste Art offenzulegen, gerade weil er im Konkret-Interview zugeben mußte: »Mich bringt das Volk aber immer, wenn ich ihm zu nahe komme, zum Frieren.« Aber Emanzipation ist antizipierbar. Und dafür braucht man keine Avantgarde, sondern erst mal interessante Figuren, wie sie Degenhardt in seinem Werk massenweise erschaffen hat. Für seine Lieder und Bücher hat er ein vielfältiges Personal ersonnen wie sonst nur noch Udo Lindenberg, dem aber im Unterschied zu Degenhardt die gesellschaftlichen Bedingungen künstlerischer Produktion herzlich egal waren. Degenhardts proletarische Protagonisten (»Tonio Schiavo«, »Natascha Speckenbach«, »Onkel Richard« oder die Antifa-Kinder aus dem Romandebüt von 1973 »Zündschnüre«) kann man sich merken wie die Superheldenfiguren aus den Comics der Kindheit. Darüber könnte man reden »am Tisch unter den Pflaumenbäumen« (1973). Und »lachen wollen wir wieder wie damals/ bis morgens der Nachtvogel schreit/ Wieder gute Geschichten erzählen/ von damals und von dieser Zeit/ denn unsere Sache, unsere Sache, die steht nicht schlecht.«

 

19.12., Berliner Ensemble, 20 Uhr, »Farewell Karratsch«, Konzert für Franz Josef Degenhardt, mit Barbara Thalheim, Konstantin Wecker, Hannes Wader, Wiglaf Droste, Jan Degenhardt, Kai Degenhardt, Frank Spilker und anderen

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Uploaded on November 15, 2011
Taken on November 15, 2011