Rubens Espírito Santo
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Ein Porträt des Porträts von Rubens Espirito Santo
C. Kotanyi
(Prof. Dr. Em filosofia e tradutor das obras completas do filósofo húngaro Lajos Szabó para o alemão e ministrando seminários no teatro Avant-Garde Beliner Volksbühne).
Berlin , Alemanha – 24 de agosto de 2007)
„Das eine Mysterium können wir nie erreichen, nur zurückkehren können wir aus ihm, mit vollem Eimer“: mit diesem Zitat des ungarischen Philosophen und Systemtheoretikers Béla Zalai fasst Lajos Szabó sein eigenes Konzept der Kunst zusammen. Das unmögliche Unternehmen dieser Rückkehr illustriert Rubens Espirito Santo vielseitig in seinen Gedichten, Malereien, Skulpturen, Installationen und theoretischen Arbeiten. Vor 20 Jahren, als ich ihm das erste Mal begegnete, ging er von der Theorie des amerikanischem Philosophen Charles Peirce aus, dessen Semiotik, oder Zeichenlehre, die neue Ästhetik des 21sten Jahrhunderts lieferte – der Post-Moderne, wie sie auch genannt wird, der mehr als Moderne, der Hypermoderne, „allzu Moderne“, könnte man auch mit Nietzsche sagen. Modern bedeutet hier die Begegnung von Logik und Ästhetik, ihre Konjunktion, die Koinzidenz dieser Gegensätze. Peirce kämpft zum Ende des 19. Jahrhunderts mit den schwersten logischen Problemen seiner Zeit, und entwickelt eine Zeichenlehre, die nach dem Zusammenbruch des Surrealismus und fast aller anderer Kunstrichtungen nach dem Ende des zweiten Weltkriegs einen roten Faden für die Abstraktion in der Kunst liefern wird. Die Semiotik von Peirce ist regressiv: Das Kunstwerk verlangt einen Zuschauer, der zurücktritt, um besser zu schauen, dabei wird er selbst zum Kunstwerk für den Zuschauer, der hinter ihm zurücktritt. Diese Regression ist sowohl psychologisch als auch logisch. Das sind ganz unterschiedliche, einander fast feindliche Formen der Regression. Aus ihrer Fusion entsteht die Postmoderne. Für die Moderne waren sie rein negativ und destruktiv. Ihre Fusion ermöglichte jedoch den Computer, den Hypertext und das Internet, diese Schlüsseltechnologien der Postmoderne, und zugleich, wer weiß, die semiotische Kunst als die Methode für die regressive, rückwärts schreitende Rückkehr von dem einen Mysterium mit vollem Eimer.
Bis heute weiß ich nicht, wie Rubens von Peirce wusste. Ich selber, damals bereits Doktor der Philosophie, hatte von Peirce bis zu meiner Begegnung mit Rubens nichts gehört. Peirce schien in Europa wenig bekannt zu sein, außer für einige Spezialisten, schon deshalb, weil seine Texte ausgesprochen schwer zu lesen sind. Die Begegnung mit Rubens wurde für mich eine Art „Neue Welt“-Erlebnis, die Begegnung mit den „Kräften der Zukunft“, wie Rimbaud sagte, die „in ihrem Exil, in den abgrundtiefen Nächten schlummern“. Damals.
Heute treffe ich Rubens wieder als Porträt im Internet. In sechszehn Jahren hat er sich kaum verändert. Auch sein Werk hat sich kaum verändert. Noch heute fällt es schwer zu sagen, wo man Rubens am Besten trifft, in seinem höchst ansteckenden Lachen, in seinem ernsten bis strengen Ausdruck auf der Fotografie oder in seinen so maximal persönlichen Arbeiten. Ich nenne sie lieber persönlich, da „subjektiv“ seit dem proklamierten Tod des „transzendentalen Subjekts“ problematisch geworden ist. Wenn Peirce den theoretischen Hintergrund für Rubens lieferte, ist es wieder kein reiner Zufall, wenn der Portugiese Fernando Pessoa für seine Kunst als Meister und Modell diente. Hier muss ich wieder zugeben, dass ich, vor dem Begegnung mit Rubens, von Pessoa nicht wusste. Das mag nicht mehr, als meine lückenhafte Bildung zu bezeugen. Andererseits war auch Pessoa, damals noch, außerhalb Portugals wenig bekannt, schon deshalb, weil die Subtilität, die Musikalität und die eigenartige Strenge seiner Texte kaum übersetzbar sind, da für sie die Sprache nicht nur Mittel, sondern auch Ziel ist.
Rubens arbeitet ausschließlich mit persönlichem Material. Er ist wie Pessoa radikal persönlich – pessoal, sagt man auf portugiesisch – ohne Fixierung auf seine persönliche Identität. In seinem Werk erzählt er nicht die Geschichte des Herrn Rubens, sondern sucht, ohne Präsentierung oder Repräsentierung in Bild oder Wort, ohne Inszenierung seiner selbst, die Spuren des Rubens, der sich hinter den Porträts verbirgt (auch mein Titel für diesen Text ist eine verdrehter Diebstahl aus einem seiner Gedichten von 1989). Er verwischt die eigenen Spuren in seinen persönlichen Dokumenten, auf dem Suche nach tieferen, zäheren, fragwürdigeren Spuren, wie etwa die wiederholte, rekursiv überlagerten Selbstporträts Giacomettis. Keine Rede von Fortschritt hier. Der Mathematiker mag von Annäherung sprechen, von Fortschritt zum exakten Wert, wenn er eine Formel immer wieder auf sich selbst anwendet - das nennt er Rekursion - um die Konvergenz zu erreichen. Der Künstler weiß aber, dass die Rekursion in einen bodenlosen Abgrund führt, laut Edgar Poe „jenseits von Raum und Zeit“, auf eine Bahn ins Nirgendwo, aus dem er es manchmal schafft, mit ein wenig Glück und viel Können, mit einem Kunstwerk zurück zu kommen. Um die Reise zu überstehen braucht er Kraft, Erfahrung und ein klares und strenges Denken. So beschreibt der Dichter Poe, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Reise durch den Malstrom, den Malstrom der Lüste, der Wonnen, der Ängste, durch die Abgründe der Subjektivität hindurch. Die Frage „Wer bin ich?“ bedeutet oft den ersten Schritt in die Kunst, führt aber auch oft in die Sackgasse. Um das Auge des Orkans zu durchqueren, ist die Ingenieurskunst quasi unentbehrlich.
Rubens Werke bieten mehr oder weniger gelungene Einladungen zu dieser gefährlichen Reise. Vor jeder Leinwand können wir uns fragen: „Nun. Auf welche Ebene seiner selbst, unserer selbst hat er uns diesmal mitgenommen?“
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Ein Porträt des Porträts von Rubens Espirito Santo
C. Kotanyi
(Prof. Dr. Em filosofia e tradutor das obras completas do filósofo húngaro Lajos Szabó para o alemão e ministrando seminários no teatro Avant-Garde Beliner Volksbühne).
Berlin , Alemanha – 24 de agosto de 2007)
„Das eine Mysterium können wir nie erreichen, nur zurückkehren können wir aus ihm, mit vollem Eimer“: mit diesem Zitat des ungarischen Philosophen und Systemtheoretikers Béla Zalai fasst Lajos Szabó sein eigenes Konzept der Kunst zusammen. Das unmögliche Unternehmen dieser Rückkehr illustriert Rubens Espirito Santo vielseitig in seinen Gedichten, Malereien, Skulpturen, Installationen und theoretischen Arbeiten. Vor 20 Jahren, als ich ihm das erste Mal begegnete, ging er von der Theorie des amerikanischem Philosophen Charles Peirce aus, dessen Semiotik, oder Zeichenlehre, die neue Ästhetik des 21sten Jahrhunderts lieferte – der Post-Moderne, wie sie auch genannt wird, der mehr als Moderne, der Hypermoderne, „allzu Moderne“, könnte man auch mit Nietzsche sagen. Modern bedeutet hier die Begegnung von Logik und Ästhetik, ihre Konjunktion, die Koinzidenz dieser Gegensätze. Peirce kämpft zum Ende des 19. Jahrhunderts mit den schwersten logischen Problemen seiner Zeit, und entwickelt eine Zeichenlehre, die nach dem Zusammenbruch des Surrealismus und fast aller anderer Kunstrichtungen nach dem Ende des zweiten Weltkriegs einen roten Faden für die Abstraktion in der Kunst liefern wird. Die Semiotik von Peirce ist regressiv: Das Kunstwerk verlangt einen Zuschauer, der zurücktritt, um besser zu schauen, dabei wird er selbst zum Kunstwerk für den Zuschauer, der hinter ihm zurücktritt. Diese Regression ist sowohl psychologisch als auch logisch. Das sind ganz unterschiedliche, einander fast feindliche Formen der Regression. Aus ihrer Fusion entsteht die Postmoderne. Für die Moderne waren sie rein negativ und destruktiv. Ihre Fusion ermöglichte jedoch den Computer, den Hypertext und das Internet, diese Schlüsseltechnologien der Postmoderne, und zugleich, wer weiß, die semiotische Kunst als die Methode für die regressive, rückwärts schreitende Rückkehr von dem einen Mysterium mit vollem Eimer.
Bis heute weiß ich nicht, wie Rubens von Peirce wusste. Ich selber, damals bereits Doktor der Philosophie, hatte von Peirce bis zu meiner Begegnung mit Rubens nichts gehört. Peirce schien in Europa wenig bekannt zu sein, außer für einige Spezialisten, schon deshalb, weil seine Texte ausgesprochen schwer zu lesen sind. Die Begegnung mit Rubens wurde für mich eine Art „Neue Welt“-Erlebnis, die Begegnung mit den „Kräften der Zukunft“, wie Rimbaud sagte, die „in ihrem Exil, in den abgrundtiefen Nächten schlummern“. Damals.
Heute treffe ich Rubens wieder als Porträt im Internet. In sechszehn Jahren hat er sich kaum verändert. Auch sein Werk hat sich kaum verändert. Noch heute fällt es schwer zu sagen, wo man Rubens am Besten trifft, in seinem höchst ansteckenden Lachen, in seinem ernsten bis strengen Ausdruck auf der Fotografie oder in seinen so maximal persönlichen Arbeiten. Ich nenne sie lieber persönlich, da „subjektiv“ seit dem proklamierten Tod des „transzendentalen Subjekts“ problematisch geworden ist. Wenn Peirce den theoretischen Hintergrund für Rubens lieferte, ist es wieder kein reiner Zufall, wenn der Portugiese Fernando Pessoa für seine Kunst als Meister und Modell diente. Hier muss ich wieder zugeben, dass ich, vor dem Begegnung mit Rubens, von Pessoa nicht wusste. Das mag nicht mehr, als meine lückenhafte Bildung zu bezeugen. Andererseits war auch Pessoa, damals noch, außerhalb Portugals wenig bekannt, schon deshalb, weil die Subtilität, die Musikalität und die eigenartige Strenge seiner Texte kaum übersetzbar sind, da für sie die Sprache nicht nur Mittel, sondern auch Ziel ist.
Rubens arbeitet ausschließlich mit persönlichem Material. Er ist wie Pessoa radikal persönlich – pessoal, sagt man auf portugiesisch – ohne Fixierung auf seine persönliche Identität. In seinem Werk erzählt er nicht die Geschichte des Herrn Rubens, sondern sucht, ohne Präsentierung oder Repräsentierung in Bild oder Wort, ohne Inszenierung seiner selbst, die Spuren des Rubens, der sich hinter den Porträts verbirgt (auch mein Titel für diesen Text ist eine verdrehter Diebstahl aus einem seiner Gedichten von 1989). Er verwischt die eigenen Spuren in seinen persönlichen Dokumenten, auf dem Suche nach tieferen, zäheren, fragwürdigeren Spuren, wie etwa die wiederholte, rekursiv überlagerten Selbstporträts Giacomettis. Keine Rede von Fortschritt hier. Der Mathematiker mag von Annäherung sprechen, von Fortschritt zum exakten Wert, wenn er eine Formel immer wieder auf sich selbst anwendet - das nennt er Rekursion - um die Konvergenz zu erreichen. Der Künstler weiß aber, dass die Rekursion in einen bodenlosen Abgrund führt, laut Edgar Poe „jenseits von Raum und Zeit“, auf eine Bahn ins Nirgendwo, aus dem er es manchmal schafft, mit ein wenig Glück und viel Können, mit einem Kunstwerk zurück zu kommen. Um die Reise zu überstehen braucht er Kraft, Erfahrung und ein klares und strenges Denken. So beschreibt der Dichter Poe, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Reise durch den Malstrom, den Malstrom der Lüste, der Wonnen, der Ängste, durch die Abgründe der Subjektivität hindurch. Die Frage „Wer bin ich?“ bedeutet oft den ersten Schritt in die Kunst, führt aber auch oft in die Sackgasse. Um das Auge des Orkans zu durchqueren, ist die Ingenieurskunst quasi unentbehrlich.
Rubens Werke bieten mehr oder weniger gelungene Einladungen zu dieser gefährlichen Reise. Vor jeder Leinwand können wir uns fragen: „Nun. Auf welche Ebene seiner selbst, unserer selbst hat er uns diesmal mitgenommen?“