Back to photostream

In der 16 am Hauptbahnhof

Kann man eine Straßenbahn abschleppen?

 

Stadtspaziergang. Sechsundzwanzigster Merz 25, Bahnen & Busse streiken mal nicht. Ich steige am Unicampus aus dem Bus und schlage den Weg durch die Parkstraße zu Stefan Becks Wohnung ein. Vom Hinterhofbalkon blicken wir auf die Rückseite der Nummer 80 Grüneburgweg, wo ich als achtzehnjähriger in einer WG erste Erfahrungen ausserhalb des Elternhauses machte. Ecke Grüneburgweg liegt nah ein Cafe-Bistro alten Stils, wo wir Lunch einnehmen und wo auch Saxofonkollege Rüdiger Carl nicht weit entfernt wohnt, den ich noch vor zwei Tagen als Leader des FIM-Orchesters auf der Bühne der Brotfabrik anlässlich eines Szene-Treff-Events Copenhagen-FIM als damaligen Leiter des FIM-Orchesters erwähnt hatte. Ohne das FIM hätte ich wohl Stefan Beck nicht kennengelernt, oder seine Freundschaft-Kollegen Oliver Augst & Marcel Daemgen, letzerer seinerseits wieder bei obig besagtem FIM-Event mit seinen Korg-Geräten auftrat. Mit Oliver & Stefan traf ich bereits ein paar Tage vorher in Paris zu Arbeitsmeetings zusammen, neben anderen, wobei ich hier das emotionale Wiedersehen mit meinem alten Freund & Kollegen Ferdinand Richard von Gestalt et Jive hervorheben möchte. Ihn sah ich zuletzt 2004, als er in Marseille das MIMI-Festival organisierte und ich als festes Mitglied von Otomo Yoshihide’s Ensemble dort in einer Kulisse alter römischer Ruinen unter Mondschein mein blaues Saxofon blies. Nach dem deutschen Mittagessen, Bratkartoffeln mit Omelette, stachen Stefan & ich in den Grüneburgpark, vorbei am alten IG-Farbenhaus, dem sogenannten Poelzig-Bau, auf dem Gelände der Irrenanstalt Affenstein erstellt, nach den Nazis von den Amis okkupiert, wo kurz nach deren Auszug in einem der gekachelten CIA-Keller eine Inszenierung von Burroughs’ Naked Lunch geplant war. Schriftstellerfreund Jürgen Ploog schleppte ich damals dorthin mit und wieder wies ich jetzt im Gespräch Stefan auf Wolfgang Rügers Antiquariat am Lokalbahnhof hin und seine hübsche, ehemalige beat-affine Reihe Bitter Lemon. Wolfgang & ich erwarten zZt sehnlich die Festschrift zu unserem 2020 verstorbenen Freund Jürgen Ploog. Auf dem Bürgersteig kam uns ein Lastenfahrrad entgegen und wieder schrie Stefan auf, befahl ihm lautstark, doch die Straße zu nehmen. Einige Dinge wiederholen sich eben. Im Park wars relaxed, wir dachten garnicht daran, noch am koreanischen Pavillon vorbeizuschauen, palaverten über Hochhausbauruinen, die traurig brach liegenden Gebäude des Architekten Ferdinand Kramer der Uni-Biologen, das Nichtzustandekommen des Kultur-Campus an der Bockenheimer Warte, Bazon Brock in der Blanchardstraße, etc. Am Ende des Parks gelangten wir in den Botanischen Garten mit knapp coupierten Weiden am Weiher, wir erinnerten uns an Tokios Parks und Hölderlins Hälfte des Lebens, das mein Bruder u.a. jüngst am 20. März zu des Dichters 255. Geburtstag mit Kontrabaßbegleitung in Heidelberg vor Publikum rezitierte. Nebenbei: Die Hälfte des Lebens wurde einst auch vom Sogenannten Linksradikalen Blasorchester zelebriert, in einer Zeitfalte, die uns sodann in meinem Bockenheimer Archivkeller ausführlicher begegnete, anhand von Polizeifotos der Studentenproteste, Kritiken von Frankfurter Jazzjournalisten in Kartons, die ich noch sichten möchte für eine kommende Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, MAK. Weiter gings über die belebte Leipziger Straße, in Gedanken an Hans Böffgens Gärungsinstitut in der nahen Robert-Mayer-Straße, wo ich vor einem Monat die Crossway-Ausstellung „Koreality“ eröffnete. Von dort wars nicht weit zu Kaffee & Kuchen im Lieblingscafé Crumble mit fortgesetzten Erinnerungen an die goldenen 80er Jahre in Ffm, die 90er, als Stefan dann nach Ffm zog, den Verein 707, von dem es zB scheinbar überhaupt keine Überbleibsel mehr zu finden gibt, Florian Haas, eine Wohnzimmergalerie, Studioaufnahmen des Duo Goebbels/Harth in der Kiesstraße, Barbara Klemms Pics in der Ubahnhalte Bockenheimer Warte und dann bereits wieder an der Haltestelle Bockenheimer Depot, wo der Schornstein der alten Dondorf-Druckerei wieder Erinnerungen an meine Kunstlehrerstudienzeit evozierte und meine Begegnungen mit Amsel Kiefers damaligen Freund Bern K. Otto, deren Fotoband Donauquelle & Vater Kiefers Kunstunterricht, der mir nichts einbrachte, wohl weil ich die Zerstörung der Kunst durch POP-Art falsch interpretiert hatte. Damals, in den 70ern.

 

Wir versäumten noch knapp das Schopenhauer Studio an der Uni-Bibliothek, mit dem Sofa auf dem er verstarb. Denn ich schnappte vorher die 16 & tauchte damit tief ein in den gegenwärtigen Zeitgeist eines Passagiers in anderen Welten und hielt mich am Fotografieren fest. Schließlich kurz hinter dem Südbahnhof kam die Bahn in der Textorstraße verblüffend zum Stehen. Nach einigen vergeblichen Schaltversuchen gab der Fahrer über Mikro bekannt: „Verehrte Fahrgäste, die Straßenbahn bleibt aus mir unbekannten Gründen stehen. Ich werde die Türen öffnen, bitte steigen Sie vorsichtig aus.“

 

Wahrscheinlich kann man - es muß ja schließlich weitergehen - , aber doch stellt sich mir die Anfangsfrage:

357 views
3 faves
0 comments
Uploaded on March 27, 2025
Taken on March 26, 2025