Nathalie Kalbach n*Studio
Retrospective Challenge # 3, *Svenja,Germany*
Ganz entgegen meinem Empfinden ist es wirklich schon fünf Jahre her. Es fühlt sich an, als ob kaum Zeit verstrichen ist. Und obwohl ich nicht so persönlich betroffen bin wie viele andere, die geliebte Menschen verloren haben, treffen mich die Bilder, Filmaufnahmen, Gedanken an 9/11 noch immer mitten ins Herz; das Gefühl von Panik, Ungläubigkeit, unfassbarer Angst ist so frisch wie damals. Natürlich habe ich Terroranschläge, Kriege und Katastrophen auch vor diesem Tag durch die Medien miterlebt, doch dieses Ereignis war das erste, das ich bewusst verarbeiten musste, weil es sich so völlig unvorhersehbar in mein zu der Zeit relativ unbeschwertes Leben gefressen hat.
Dieser Dienstag im Frühherbst war uns zu schön erschienen, um gleich nach der Schule nach Hause zu fahren, und so schlenderten Basti und ich noch eine Weile über den Markt, kauften Kürbisse, genossen einen Kaffee und nahmen dann den 3-Uhr-Bus. Zu Hause angekommen, eilte mir Mama mit der Hiobsbotschaft entgegen. Es war halb Fünf, und von da an bis weit nach Mitternacht waren wir an den Fernseher gefesselt. Ich konnte nicht fassen, was ich sah, ich konnte die Berichte und Bilder nicht ertragen, aber ich kam auch nicht von ihnen los. Mit jeder Stunde wuchs die Gewissheit, dass hinter all dem ein zutiefst grausamer Plan steckte, dessen Auswirkungen die Welt verändern würden. Immer wieder kam mir auch der Gedanke, dass womöglich ein dritter Weltkrieg nahte – und das, obwohl ich doch immer inständig gehofft hatte, so etwas nie mitmachen zu müssen.
Auch in den folgenden Tagen stieg immer wieder furchtbare Angst in mir auf. Unser Klassenraum lag direkt über dem Bahnübergang; wann immer ein Zug heranrauschte, zuckte ich zusammen, denn es gab ein laut krachendes, metallisch kreischendes Geräusch, das meines Erachtens auch von einem Flugzeug stammen konnte und an das ich mich nie gewöhnen konnte. Eiskalt lief es mir auch den Rücken hinunter, als wir über die Geschehnisse diskutierten und Bilal die Meinung der Terroristen vertrat. Amerika und der Westen allgemein hätten es nicht anders verdient. Ich traute meinen Ohren nicht, der Lehrerin ging es vermutlich ähnlich, doch was Bilal sagte, hatte keinerlei Konsequenzen für ihn – das wäre heute, mit etwas Abstand, hoffentlich anders.
Im Fernsehen tauchten immer neue, private Aufnahmen auf, deren Inhalt mich nicht losließ: Die vielen Menschen, die ihre Angehörigen suchten. Anrufe, die Opfer kurz vor ihrem Tod machten, mit letzten Worten, letzten Liebesbekundungen. Fotos von Trümmern, Staubwolken und Helfern, die niemals wieder gesehen wurden. Dies alles verschmolz zu einem grausamen Ganzen, doch mit Abstand am schlimmsten sind für mich, auch heute noch, die Bilder von unvorstellbar verzweifelten Menschen, die ihren einzigen Ausweg im Sprung aus dem Fenster sahen und damit verbunden das Geräusch vieler dutzend auf dem Boden aufprallender Körper. Niemals werde ich es vergessen können, es erschüttert mich jedes Mal.
Ich wage nicht daran zu denken, was auf den 11. September und all die Gräueltaten danach noch folgen mag. Geschichte wiederholt sich nur allzu oft.
–Tagebucheintrag vom 11. September 2006
Retrospective Challenge # 3, *Svenja,Germany*
Ganz entgegen meinem Empfinden ist es wirklich schon fünf Jahre her. Es fühlt sich an, als ob kaum Zeit verstrichen ist. Und obwohl ich nicht so persönlich betroffen bin wie viele andere, die geliebte Menschen verloren haben, treffen mich die Bilder, Filmaufnahmen, Gedanken an 9/11 noch immer mitten ins Herz; das Gefühl von Panik, Ungläubigkeit, unfassbarer Angst ist so frisch wie damals. Natürlich habe ich Terroranschläge, Kriege und Katastrophen auch vor diesem Tag durch die Medien miterlebt, doch dieses Ereignis war das erste, das ich bewusst verarbeiten musste, weil es sich so völlig unvorhersehbar in mein zu der Zeit relativ unbeschwertes Leben gefressen hat.
Dieser Dienstag im Frühherbst war uns zu schön erschienen, um gleich nach der Schule nach Hause zu fahren, und so schlenderten Basti und ich noch eine Weile über den Markt, kauften Kürbisse, genossen einen Kaffee und nahmen dann den 3-Uhr-Bus. Zu Hause angekommen, eilte mir Mama mit der Hiobsbotschaft entgegen. Es war halb Fünf, und von da an bis weit nach Mitternacht waren wir an den Fernseher gefesselt. Ich konnte nicht fassen, was ich sah, ich konnte die Berichte und Bilder nicht ertragen, aber ich kam auch nicht von ihnen los. Mit jeder Stunde wuchs die Gewissheit, dass hinter all dem ein zutiefst grausamer Plan steckte, dessen Auswirkungen die Welt verändern würden. Immer wieder kam mir auch der Gedanke, dass womöglich ein dritter Weltkrieg nahte – und das, obwohl ich doch immer inständig gehofft hatte, so etwas nie mitmachen zu müssen.
Auch in den folgenden Tagen stieg immer wieder furchtbare Angst in mir auf. Unser Klassenraum lag direkt über dem Bahnübergang; wann immer ein Zug heranrauschte, zuckte ich zusammen, denn es gab ein laut krachendes, metallisch kreischendes Geräusch, das meines Erachtens auch von einem Flugzeug stammen konnte und an das ich mich nie gewöhnen konnte. Eiskalt lief es mir auch den Rücken hinunter, als wir über die Geschehnisse diskutierten und Bilal die Meinung der Terroristen vertrat. Amerika und der Westen allgemein hätten es nicht anders verdient. Ich traute meinen Ohren nicht, der Lehrerin ging es vermutlich ähnlich, doch was Bilal sagte, hatte keinerlei Konsequenzen für ihn – das wäre heute, mit etwas Abstand, hoffentlich anders.
Im Fernsehen tauchten immer neue, private Aufnahmen auf, deren Inhalt mich nicht losließ: Die vielen Menschen, die ihre Angehörigen suchten. Anrufe, die Opfer kurz vor ihrem Tod machten, mit letzten Worten, letzten Liebesbekundungen. Fotos von Trümmern, Staubwolken und Helfern, die niemals wieder gesehen wurden. Dies alles verschmolz zu einem grausamen Ganzen, doch mit Abstand am schlimmsten sind für mich, auch heute noch, die Bilder von unvorstellbar verzweifelten Menschen, die ihren einzigen Ausweg im Sprung aus dem Fenster sahen und damit verbunden das Geräusch vieler dutzend auf dem Boden aufprallender Körper. Niemals werde ich es vergessen können, es erschüttert mich jedes Mal.
Ich wage nicht daran zu denken, was auf den 11. September und all die Gräueltaten danach noch folgen mag. Geschichte wiederholt sich nur allzu oft.
–Tagebucheintrag vom 11. September 2006