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O Geist der stillen Ewigkeit

Photo: Herbststimmung in der Kuranlage von Hanau-Wilhelmsbad

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O Geist der stillen Ewigkeit

 

1.) O Geist der stillen Ewigkeit!

Der Weisheit holde Freundlichkeit

Lockt mich, zu dir zu gehen.

Du sprichst: Bitt, such und klopf nur an,

Es soll dir werden aufgetan.

Erhöre dann mein Flehen!

Komm dämpfe, komm töte, lass werden vermindert,

Was mich am Genuss deiner Liebe nur hindert.

 

Stillhalten ist nötig, soll werden vermindert, (a)

Das, was noch der Liebe-Gemeinschaft verhindert.

 

2.) Leer aus, verstopf und siegle zu

Den Brunn' der Sünden. Bring zur Ruh'

Mich durch des Geistes Gnade.

Die Sünde, die den Fluch gebracht

Wird größer durchs Gesetz gemacht.

Und also wächst der Schade.

Ach, könnt' ich befreiet dem Lamme nachgehen,

Als Jungfrau und meinen Geliebten bald sehen! (b)

 

Du bist schon erkaufet, drauf musst du wohl sehen,

Wenn du willst als Jungfrau dem Lamme nachgehen.

 

3.) O Weisheit, Jungfrau, lehre mich

Mit Fleiß und täglich suchen dich.

Damit ich nicht einschlafe.

Klug ist die Jungfrau, die das Öl

Bei Zeiten kauft, dass ihr's nicht fehl', (c)

Wenn kommt der Hirt der Schafe.

Wie wünsch' ich so sehnlich, wär in mir erschienen,

Der, den nur die Braut und Jungfrauen bedienen!

 

Wenn ich soll als Liebe noch in dir ausgrünen,

Musst du mir im heiligen Schmucke stets dienen.

 

4.) O Perle! Sie so kostbar ist,

O Schatz, der du schon in mir bist!

Dich such ich, lass dich finden!

Erwünschter Tag, wann brichst du ein?

Da bei des Liebsten Glanz und Schein,

Furcht, Schmerz und Pein verschwinden.

O Weisheit, gib Liebe, die niemals abweichet

Und fort dringt zum Ziele, bis sie es erreichet.

 

Des Zieles verfehlen, die von der Zucht weichen,

Doch können es ernstliche Sucher erreichen.

 

5.) Nur Lieb' und süße Freud' allein

War Gottes Bild und wird's auch sein!

Warum? - Gott ist die Liebe!

Was die gebiert, das ist ihm gleich:

Drum heißt es auch von seinem Reich,

Es sei ein Reich der Liebe.

Gebäre denn in mir, o Weisheit, die Triebe,

So such ich, so find ich und bin selbst die Liebe.

 

Such, finde, genieß mich in brünstigem Triebe,

Lass etwas, nimm alles: die göttliche Liebe!

 

6.) Selbstständ'ge Rein- und Heiligkeit,

Wehr einmal der Vernünftigkeit,

Die mich abhält vom Wesen!

Ach, lass aufgehn den neuen Bund,

Im Geist und Kraft in meinem Grund.

Sonst kann ich nie genesen.

Du hast's angefangen: du musst's auch ausführen,

Entzögst du dich, würd ich mich selbsten verlieren.

 

Soll ich in dir wirken, soll ich dich regieren,

So musst du bloß leiden, dann kann ich's vollführen.

 

7.) Ich weiß, dass ohne dich nichts kann,

Drum nehm ich dich zum Helfer an

Und wage auf dich alles.

Lass deine Liebeskraft allein,

O Weisheit, meine Stärke sein,

So fürcht ich keines Falles.

O Jungfrau, o Weisheit, o Perle, o Leben!

Du hörest mein Schreien, dir bleib ich ergeben!

 

Ich kann und will alles in dir noch beleben,

Drum hör ich dein Schreien (c), bleib du mir ergeben.

 

(a) die jeweils ersten acht Zeilen einer Strophe sind als Fragen einer Seele an Christus konzipiert, beiden letzten Zeilen sind jeweils als Antwort Jesu auf die Fragen der Seele zu verstehen.

(b) Ein Bild für die christliche Kirche ist Jesus Christus als Bräutigam und die Gläubigen in ihrer Gesamtheit als Braut.

(c) Das Gleichnis, das Jesus Christus gem. der Überlieferung im Evangelium des Matthäus (Kapitel 2, Verse 1-13) erzählt, handelt von der Vorbereitung auf das Reich Gottes. Zehn Jungfrauen warten auf den Bräutigam, aber nur fünf haben genug Öl für ihre Lampen mitgebracht. Als der Erwartete sich verspätet, werden alle müde und schlafen ein. Als der Ruf erschallt, der Bräutigam stehe vor der Ankunft, müssen die fünf törichten Jungrauen gehen, um Öl zu kaufen und finden die Tür des Hochzeitssaals verschlossen, als sie zurückkommen. Die fünf klugen Jungfrauen hatten hingegen genug Öl für ihre Lampen mitgebracht und haben Einlass zur Feier gefunden. In diesem Gleichnis stehen die klugen Jungfrauen für die Bereitschaft des Gläubigen, jederzeit angesichts des Todes Rechenschaft über sein Leben ablegen zu können und hierdurch vor Gott gerechtfertigt zu sein.

(d) Rufen, Beten

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Autor: Johann Michael Petri

Melodie: Ich will bei meinem Jesu

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Neu und vollständiges Nassau-Jtzsteinisches Gesangbuch

Verlag des Waisenhauses

Wiesbaden, 1741

Liednummer 763

Thema: Offenbarung

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Johann Michael Petri (* 12. November 1689 in Idstein/Grafschaft Nassau-Idstein, † 20. März 1747) war ein deutscher evangelisch-lutherischer Kantor, der zwischen 1718 und 1747 an der Kirche und dem Gymnasium in Idstein wirkte.

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Uploaded on November 11, 2021
Taken on November 6, 2021