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Nachruf auf Juliette Gréco

Jeder wollte mit ihr musizieren. Jacques Brel besuchte sie mit seiner Gitarre in der Rue de Berri, als er fünfundzwanzig Jahre alt und noch völlig unbekannt war. Welches seiner Lieder dem Publikum am schwersten nahezubringen sei, wollte sie von ihm wissen und machte „Ça va, le diable“, einen satirischen Lobgesang auf die Zerstörungskraft des Teufels, der 1954 noch zu früh kam, über die Jahre zu einem Klassiker. Auch Georges Brassens war ein nahezu unbeschriebenes Blatt, als er ihr das „Chanson pour l’Auvergnat“ überließ, eine Ode an die Résistance. „Padam, padam“ wurde ihr angeboten, aber sie lehnte ab. Dafür nahm sie „Je hais les dimanches“ von Charles Aznavour, das Edith Piaf zuvor verschmäht hatte. Mit Serge Gainsbourg entstand 1958 „L’Accordéon“. Und noch im neuen Jahrtausend suchte Juliette Gréco unter den Stimmen einer jungen Generation nach Weggefährten. Neben Benjamin Biolay fand sie auch den Rapper Abd al Malik, dessen Art von Musik im Anprangern der Verhältnisse, das wusste sie, das französische Chanson längst abgelöst hatte.

 

Zufällig war keine dieser Begegnungen. Juliette Gréco hat ihre Arbeit stets als Engagement begriffen, das mit der sorgsamen Auswahl ihrer Lieder begann. Oft war diese Wahl vom Mut, Neues zu wagen, nicht zu trennen. Mit Miles Davis trat sie im New Yorker Waldorf Astoria in den fünfziger Jahren auf, als eine weiße Frau neben einem schwarzen Mann auf der Bühne den Hoteldienern noch die Gesichtszüge entgleiten ließen. Im Jahr 1967 hauchte sie dem Publikum „Déshabillez-moi“ entgegen, glitt mit den Händen an ihrem Körper entlang und löste einen Skandal aus. Schon bald nach dem Krieg besuchte sie auch wieder Deutschland, weinte auf der Bühne, aber fand ein Publikum, dessen treue Begeisterung sie mit regelmäßigen Konzerten belohnte. Sie machte nie einen Hehl daraus, dass ihr Verhältnis zu den Franzosen gespaltener war als das zu anderen. Die Franzosen seien treuloser und sprunghafter, sagte sie, die Deutschen aber kundige Zuhörer und Zuschauer, die nicht zufällig vorbeikämen. Es stimmte. Ihre stets schwarze Silhouette, ihre dunkel umrandeten Augen, das Besingen der verrinnenden Zeit, der sie doch mit jeder Modulation ein Schnippchen schlug, auch das ewige Akkordeon wirkten auf das Publikum in Deutschland viel seltener antiquiert als in Frankreich, wo man keine Sehnsucht nach sich selbst hatte.

 

Doch es galt auch umgekehrt: Dass diese Sehnsucht hierzulande über Jahrzehnte lebendig geblieben ist, daran hatte Juliette Gréco einen großen Anteil. Es waren ihre Stimme und ihr Spiel, die den Assoziationsraum öffneten, in dem, für einen Abend lang, eine Zeit aufschien, die ein Versprechen barg und alles möglich machte.

 

Dass sich nicht jedes Versprechen erfüllt, wusste Gréco wohl am besten. Sie war dreimal verheiratet, zuletzt mit Gérard Jouannest, der für Jacques Brel mehr als vierzig Chansons komponierte, bevor er Gréco mehr als zwanzig Jahre lang am Klavier begleitete. Sie hat ein Kind geboren und eines abgetrieben. Eine Krebserkrankung überstanden. Ein Selbstmordversuch scheiterte. Bis vor wenigen Jahren stand sie auf der Bühne, aber sie wusste, wann die Zeit vorbei war. „Man darf nicht als Besiegter gehen, sondern als Sieger“, sagte sie, kurz bevor sie zum letzten Mal in Deutschland auftrat. Das ist ihr gelungen. Am Mittwoch ist Juliette Gréco im Alter von 93 Jahren gestorben.

 

Quelle: F.A.Z.

 

www.youtube.com/watch?v=jL-FrqN54oQ

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Uploaded on September 24, 2020