Back to photostream

Noch was aus der Forschung

Seit ich in meiner Ahnenforschung in meine väterliche Linie vorgedrungen bin, bekommt mein Projekt die Dimension einer Vollzeitstelle auf Lebenszeit ohne Überstundenbegrenzung. Ich genieße also, von der Besoldung mal abgesehen, so eine Art Beamtenstatus.

Als ich im Sommer 2013 die Geburtsurkunde meines 1965 verstorbenen Vaters aus Marburg an der Lahn erhielt, ahnte ich noch nichts von der sich daran später anknüpfenden Dimension. Aus Familiensicht war mein Erzeuger [man nannnte ihn so] für mich so eine Art durchlaufender Posten. Als ich zehn Jahre alt war, ließ meine Mutter sich scheiden. Ein Jahrzehnt Eheerfahrung hatte ihr gereicht. Von ihrem Ex-Mann, der nach den verfügbaren Urkunden mein leiblicher Vater war, hinterblieb mir nichts Brauchbares, was ich heute in der Ahnenforschung verwerten könnte – seine wichtigsten persönlichen Lebensdaten waren alles [und fast nichts].

So kannte ich bis zum Erhalt seiner Geburtsurkunde nicht einmal die Namen seiner Eltern, sieht man vom Nachnamen seines Vaters ab – der ist ja auch meiner. Mit der Zustellung der Urkunde aus Marburg veränderte sich mein [Un]Wissensstand. Da hatte ich also einen Opa Friedrich Jakob. Friedrich hieß auch mein Vater mit seinem Beinamen. Er hatte dann noch den Wilhelm als eindeutiges Unterscheidungsmerkmal – für euch einfach WiLLi!

Spannender fand ich da schon meine Oma Katharina. Ich war ja seit meiner Kindheit innerlich voll auf Hessen fixiert, hinsichtlich meiner Vaterlinie. In meiner frühen Kindheit kamen da sogar Päckchen von Tante Tilde. Nie gesehen, die Dame. Sie wurde mir als die in Kassel lebende Schwester meines Vaters verkauft. Meine in der Urkunde erstmals gesichtete Oma Katharina war in Unterfranken geboren. Aha! Und hatte einen Mädchennamen, der nur aus drei verschiedenen Buchstaben bestand: 3 M, 2 E, 1 L. Ja, das kann man so schon fast erraten, dass das nur Memmel heißen kann.

Ich war dann damit erst mal eine Weile zufrieden. Meine Mutterlinie beschäftigte mich schon außerordentlich. Immerhin war ich dabei, in dieser Linie über 250 eigene Vorfahren zu orten. Es ging Schlag auf Schlag. Anfangs kannte ich die Namen noch auswendig. Das war dann aber bald vorbei. Dank der immensen Fleißarbeit der hiesigen Kirchenbuchforscher konnte ich mich nach und nach auf vier CD's durch zehntausende von Datensätzen fressen. Ja, so kann man das beschreiben. Als ich mich dann mal wegen eines Fehlers, der ausgerechnet die Eltern meiner Mutter betraf, bei dem zuständigen Forscher per E-Mail meldete, durfte ich ihn sogar persönlich besuchen und kennenlernen.

Zwanzig Kilometer nördlich von hier sitzt der inzwischen über 80-Jährige vor seinen diversen Rechnern mit den kolossalen Datenbergen. Wenige Monate später besuchte ich ihn ein zweites Mal. Aus einem merkwürdigen Zufall heraus stellten wir dabei fest, dass es zwischen seiner Frau und mir ein Verwandschaftsverhältnis gibt, das über vier Personen zu meiner mütterlichen Großmutter führt . . .

Die Kirchenbuch-CD's hab' ich übrigens zwölf Kilometer von Oldenburg entfernt in einem Schreibwarenladen gekauft, den ich über das Internet geortet hatte. Der Inhaber heißt Brumund und bédient meistens persönlich. Als ich ihn fragte, ob er mit den Brumund verwandt sei, die ich aus der Schule kennen würde, verneinte er dies: Nein, meine Brumund kommen aus Conneforde. Nee, damit hatte ich nichts am Hut! Ich nahm dann die CD mit [die kosten das Stück 25 Euro, deswegen kaufte ich die immer erst, wenn ich die vorhergehende durchgeforstet hatte, was ja eine Weile dauerte] . . . also ich nahm dann die CD mit, auf der auch Conneforde enthalten ist. Tja, da fand ich dann einen meiner bis dato ältesten Ahnen: Dyrick Brumund, geboren 1515 in Conneforde [zu seinen Nachfahren gehört auch mein Schreibwarenhändler – beim nächsten Kauf in seinem Laden habe ich mich ihm gegenüber selbstverständlich geoutet].

Jaja, es schließen sich Kreise . . .

In meiner mütterlichen Linie bin ich momentan bei meinem Spitzenahn, der vor knapp 600 Jahren [1420] geboren wurde. Soweit bin ich in meiner Vaterlinie noch nicht. Da konnte ich mich erst schlappe 350 Jahre vortasten. Was ich anfangs nicht ahnte: Es geht alles vom Bürostuhl aus, per Internetverbindung. Anfangs entdeckte ich die hessischen Urkundenbücher der Standesämter. Alle digital verfügbar. Du kannst dir locker die Nächte um die Ohren schlagen, ohne es zu merken. Und ich landete einen Treffer nach dem anderen. Da die amtlichen Bücher erst seit 1875/76 geführt wurden, kam ich bald an Grenzen. Immerhin schaffte ich es bis zu meinem hessischen Urgroßvater und seiner Ehefrau. Sie stammen aus Witzenhausen an der Werra, unweit der Grenze zu Thüringen. Mein Urahn namens Konrad war dann sogar bis zu seinem frühen Ableben 1841 Sheriff in Marburg an der Lahn [offizielle Bezeichnung: Polizei-Sergeant].

Als ich dann vor einigen Monaten in vorläufiger Erschöpfung weiterer urkundlicher Erkenntnisse einen vorläufigen Strich unter diesen Forschungsbereich ziehen wollte, entdeckte ich, dass ich in wesentlichen Bereichen meiner hessischen Vorfahren auch per Internet in die Kirchenbücher Einsicht nehmen kann . . . [tausende Seiten mit Geburten, Taufen, Eheschließungen und Sterbefällen sind inzwischen gesichtet, teils unter schwierigen Bedingungen hinsichtlich der Lesbarkeit]. Inzwischen habe ich an die 1000 selbst erfasste Datensätze aus geschätzt bislang fünfzig Kirchenbüchern. Das sind beileibe nicht alles Vorfahren, aber ein großer Teil gehört auch zu meinen erweiterten Linien. Darunter sind spannende Erkenntnisse, wenn man bedenkt, dass meine familiären Verbindungen aktuell bis zu den Pinguinen am Südpol reichen, einerseits, und bis zur Weltzentrale von Coca Cola in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia andererseits. Um jetzt nur mal die geografisch interessantesten Erkenntnisse hier vor euren staunenden Augen zu verbraten.

Gut! Es beeindruckt euch nicht. Nicht mal heimlichen Neid vermag ich in euren Blicken zu erkennen. Machen wir es eine Nummer kleiner. Interessant sind dennoch die Kreise, die sich immer wieder mal schließen. Wie der Kreis mit dem zuvor bereits erwähnten Kirchenbuchforscher, der sich als angeheirateter Verwandter entpuppt.

Wir sehen auf dem Foto ein altes Stadtviertel. Zweimal war ich bereits dort. Im Oktober und im November 2015. Erst in diesem Februar entdeckte ich im Kirchenbuch, dass mein Vater in dieser Straße anno 1903 geboren wurde. Hier starben auch meine Urgroßeltern. Mehrere Häuser in dieser Straße waren zu verschiedenen Zeiten Wohnsitz meiner Vorfahren und unmittelbarer Familienmitglieder.

Wir sprechen hier über den ältesten Marburger Stadtteil, der ungefähr gleich alt ist, wie der Stadtkern in der Oberstadt. Weidenhausen liegt jenseits der Lahn. Überquert man den Fluß von Weidenhausen aus Richtung Stadtkern, steht man direkt vor den wuchtigen Mauern der alten Universität, die wie eine Festung wirkt. Darüber sieht man die hoch gelegene Oberstadt. Und noch viel weiter oben thront das Schloss über der Oberstadt.

Die Straße im Bild ist der Kern Weidenhausens. Heute heißt sie Weidenhäuser Straße. Bereits vor über 600 Jahren hatte sie eine Pflasterung. Hier waren vor allem Handwerker ansässig. Soweit es für mich bislang nachvollziehbar ist, wohnten meine Vorfahren und ihre nahen Angehörigen auf der im Bild rechten Straßenseite – im Laufe der Zeit in verschiedenen Häusern.

Auf der linken Seite findet man in der Hausnummer 33 die Tischbeins. Auch sie waren bodenständige Handwerker, die hier ihr Auskommen suchten. Im weiteren Verlauf sollten ihre nachkommenden Generationen allerdings bunter werden als meine. Da waren diese Tischbeins allerdings schon dem engen Weidenhausen entfleucht. Besonders bunt wurde es im 18. und 19. Jahrhundert durch Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Er wurde der bedeutendste Künstler dieser bekannt gewordenen Malerfamilie. Dazu hat auch sein berühmtestes Gemälde beigetragen: Goethe in der Campagna. Es bildet den Hintergrund meiner Bildmontage.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein wird zur Unterscheidung auch Goethe-Tischbein genannt. Die beiden lernten sich in 1786 in Rom kennen und waren seitdem befreundet.

Für mich schließt sich auch hier ein gewisser Kreis. Weniger als fünf Kilometer von meinem Wohnsitz entfernt, kann man eine Auswahl von Tischbeins Werken im Oldenburger Schloß sehen. Es ist heute Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Dass Tischbeins Werke hier neben vielen anderen hängen, hat seinen besonderen Grund. Der schöne Goethe von 1787 ist leider nicht in der Oldenburger Sammlung. Die Bankiers Rothschilds konnten mehr bieten, als das Gemälde 1887 aus Italien zum Verkauf angeboten wurde. Deswegen hängt Tischbeins Campagna samt Goethe in Frankfurt.

Goethe-Tischbein war in seinem Restleben über zwanzig Jahre Hofmaler des Oldenburger Großherzogs. Aus dem Hessen wurde damit in seinem letzten Lebensabschnitt ein Wahl-Oldenburger – zumindest dieser Status ist uns gemeinsam. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein starb 1829 im holsteinischen Eutin, das damals zum Großherzogtum Oldenburg gehörte. Eutin war zu jener Zeit, nach heutiger Definition, so etwas wie die Kulturhauptstadt des Großherzogtums Oldenburg, das sich als Flickenteppich von Lübeck bis nach Idar-Oberstein im heutigen Rheinland-Pfalz erstreckte.

 

11,047 views
47 faves
12 comments
Uploaded on March 9, 2016