gelbhaarduisburg
Danze
Tanzschule Schulerecki
www.schulerecki.de/tanzschule-schulerecki/
House Of Dance - Schulerecki´s Dancing School
Köln / Cologne 2015
Dazu ein paar Impressionen aus der Domstadt. Ich freue mich auch über Kommentare zum Text!
Molto di Forza – Köln-Impressionen
Warum ich mich denn nicht neben „dä Willy“ setze, will sie wissen. Ich lehne, eine Schale Currywurst-Pommes auf der Hand, mit dem Hintern an einem Abfalleimer. Eine dürre Greisin blickt mich an. Sie und ein dicker kleiner Mann sitzen an einem Caféhaustischchen vor einer Kaffeebar auf dem Willy-Millowitsch-Platz, davor Willy auf seiner Bank als Denkmal. Neben ihm wäre noch ein Platz frei. Ich will ihn nicht stören. „Aaach“, winkt das Pärchen lachend ab, „Dä stören Se doch nit.“ Willy blickt, ein Bein übergeschlagen, in die Szenerie. „Maat üür Sauerei zo Hus“, brüllt die Imbisstante aus der Bude nebenan. Eine junge Frau hat ihre volle Pommesschale direkt vor der Verkaufstheke fallen lassen und tut so, als habe sie das gar nicht bemerkt. Mayonnaise glänzt in der Sonne. Telefone führen ihre Halter Gassi. Willy lächelt. Mein Menü ist verputzt. Die Pappschale fliegt in den Müll. Weiter geht’s. Ein Spätsommertag von Telenovelaformat. Nur einer steht stur im Wintermantel rum, unweit von hier, bei Aposteln, sinnierenden Blicks, in sich versunken, unbeachtet, schmal wie zu Lebzeiten auf einem nicht minder schmalen Sockel - Adenauer. Vor ihm tun sich Gassen voller Altbauten mit versprayten Fassaden auf. Irgendwo hoch über mir toben sich Santanas Erben an Kongas aus, irgendein Radio hält „Atemlos“ dagegen. Gerüstbauer brüllen sich an, Möbelpacker schwitzen, kleine Läden und Kneipen flirren am Auge vorüber. Von abblätterndem graubraunen Putz grinst mich ein kackender Bart Simpson an. Stunksitzung.
„Wir fahren jetzt nach Köln!“, hatte meine Mutter gesagt. Da tanzten in der Sporthalle Micky, Minnie, Goofy und Pluto auf Schlittschuhen. Holiday On Ice. Mein erstes Köln, ich fand es doof als Neunjähriger und wollte lieber einen Dom aus dem Souvenirshop. Das erste Köln meiner Mutter war spannender gewesen. Sie hatte als gleichfalls Neunjährige eine Gondel der nagelneuen Seilbahn von der Mitte des Rheins aus fotografiert. Das Ding schwebte über ihrem Kopf zur Flora hin, als Oppas Frachtschiff zu Tal fuhr. Muttern hielt ihre Agfa-Box in die Höhe und drückte den Auslöser. Man sieht ein Stück Steuerhäuschen auf dem Bild und die Gondel ganz klein im Nachkriegshimmel. Mir blieb nur die Erinnerung an Donald Duck, wie er zur Musik von James Last auf die Fresse fiel und eine Kathedralenreplik aus Alteisen. Sie verstaubte im Bücherregal, bis ich 15 war. Da verkündete mein Klassenlehrer: „Wir fahren nach Köln!“. Was in Schülersprache der 70er übersetzt hieß: Wir fliegen zum Saturn. Dem Pflichtprogramm, im Dom Treppenstufen zählen und im Römisch-Germanischen Museum alte Sandalen, folgte die Intensivrecherche des Paradieses - der Schallplattenabteilung im Stammhaus des Elektronikriesen am Hansaring. Dessen Schaufenster werden von Tier- und Menschenköpfen gekrönt und bewacht. Ich verliebte mich schon als Teenager in den Affen dort und verließ den Markt mit Pink Floyd, Udo Lindenberg, AC/DC und dem kölschen Lemmy Kilmister - Jürgen Zeltinger, der abweichende Ansichten davon hatte, was kölsche Junge sind:
Schabau en d’r Fläsch,
dä Knüppel en d’r Täsch,
un wann m’r keine Knüppel han,
dann schlag’n m’r met d’r Fläsch
Was waren schon ein Souvenirdom und ein 25 Jahre altes Schwarzweißfoto gegen ein paar stimmungsvolle rheinische Vokabeln!? Oder gegen die Erinnerungen meiner Großmutter an ihr erstes Domstadterlebnis. ‛48, im ersten Karneval nach dem Krieg hatte die Alte die geballte Depression der Nazi-Jahre, Bomben, Hunger und all den Scheiß abgeschüttelt, mit 45 zum ersten Mal im Leben so richtig die Sau rausgelassen und sich in Trümmerwüsten bis zur Oberkante voll laufen lassen. So schlimm, dass sie - die Rheinnixen jodelten die Trizonesien-Hymne - bei der Rückkehr in den Hafen beinah von der Gangbord unseres Schiffs ins Wasser gefallen wäre. Aber wer treibt sich schon in Köln rum, um baden zu gehen?
Ich komme bei den Resten von St. Maria Ad Ortum an. Ein floral verziertes Kruzifiux korrespondiert mit den Antennen auf dem Dach des WDR-Gebäudes. Nicht weit von hier steht ein Businesspark der 50er Jahre, der Gerling-Komplex, ein Gruselkabinett reinster faschistischer Ästhetik. Zum Glück ist gleich nebenan der Klapperhof. Ein Rotlichtbezirk war das mal und schon die Römer könnten hier gefickt haben. Jedenfalls fährt man, wenn man gegenüber verlassener Nachtclubs in eine Tiefgarage eintaucht, an zweitausendjährigen Reliefs vorbei. Auch die Römer sind hier wie Omma und Oppa durch die Gegend gefahren, mit Schiffen. Heute würden manche Bewohner der Kranhäuser am Rheinufer die Kähne am liebsten aus dem Rhein verbannen; Sie fühlen sich von deren Maschinenlärm um den Schlaf gebracht. Zum Teufel, wer treibt sich schon in Köln rum, um zu pennen? Maritimes liegt der Stadt aber ohnehin nicht so sehr, könnte man denken, mal abgesehen vom „Möllemer Böötche“; Ein echter hoch aufragender Leuchtturm wurde weit weg vom Wasser gebaut, in Ehrenfeld. Er blickt, Labor eines Glühbirnenkrämers, herab auf ein Gewirr aus Studenten, Parzellen im Dauerumbruch, fußballfeldgroßen QR-Codes auf Altbaufassaden, unzähligen Dönerläden, einer Badeanstalt aus Kaisers Zeiten und einer Bruchbude, die früher das Arkadaş-Theater gewesen ist. Ich sah hier mal eine getanzte Island-Saga. Die Solo-Vorstellung einer Tänzerin, welche mich später in die Kölner Oper einlud, als die noch begehbar war. Dort gab es den „Rigoletto“ der Medienstadt: es schwoften lauter Typen mit Headsets und altmodischen Videokameras um den Herzog von Mantua herum, das waren wohl Berlusconis Minister. Ein Inspizient der Oper lud uns hinterher zum Essen ein. Zum Anbaggern suchte der sich die Kellnerin aus, die war dicker als er selbst und trug ein Dirndl. Es war tief genug ausgeschnitten für den Inspizienten, der das „Rumpsteak Erika“ nur für den Fall bestellen wollte, dass es nach der Kellnerin benannt war. Die Kellnerin bestand darauf, dass sie nicht Erika hieß und mit dem Namen der Speisen nicht in Verbindung gebracht werden wolle. Beugte sich jedoch, als sie ihm die Seezunge „Jeanette“ an grünen Bohnen und Prinzesskartöffelchen servierte, tief genug herunter, dass er Appetit auf eine doppelte Portion Bayrische Creme zum Nachgang entwickelte. Wer kommt schon für Flönz nach Köln?
Getrüffelte Kapaune, Schinken in Madeira, Steinbutte mit Erdschwämmen, sowas aß man 1880 zur Feier der Vollendung des Doms. Ich stehe im Zeughaus, dem Stadtmuseum vor der Tischkarte aus dem Gürzenich und dem farbenfrohen Gemälde eines Herrn Hörle, das honorige Kölner Zeitgenossen der Neunzehnhundertdreißiger zeigt: Ostermann, Adenauer, einen Boxer, eine Sängerin, den Künstler selbst. Ich werde das Bild nachstellen, nehme ich mir vor, mit Frau Reker neben Poldi, Kebekus, Niedecken und Krautmacher. Aber meins wird greller sein und ich werde nicht auskommen ohne Ab- und Hintergründe, Stadtarchiv, Keupstraße, Baucontainer, Clochards in den Domtüren, Ballauf und Schenk ratlos zwischen Grapschern vor dem Hauptbahnhof statt Jan und Griet am Alter Markt und, als versöhnlichen Akzent sozusagen, die Bläck Fööss mit Ladysmith Black Mambazo auf der Domplatte. Letzteres war hundert Jahre nach den gefüllten Kapaunen.
Wir hatten uns verfranst und standen im Stau auf dem Ring. Ein gewaltiger Basaltblock lag da, wo gewöhnlich zwei Rückbänke montiert waren. Das Ding drückte Henris Kleinbus gefährlich dem Asphalt entgegen, mein Freund der Steinmetz hatte sich den Rohling in der Eifel besorgt für sein Gesellenstück. Vielleicht war der Stau an jenem Tag besonders arg, weil die Gladbecker Geiselmörder gerade Station in der Stadt machten und alle sie sehen wollten. Henri, ich und der Basaltblock wollten eigentlich nur nach Hause, hundert Kilometer weiter rheinabwärts, aber daraus wurde nichts. Wir ließen den Wagen am Straßenrand stehen, strandeten in der Kölner Altstadt und sahen die Fööss mit den Sängern vom schwarzen Kontinent bei ihrem Konzert. Wir deckten uns mit Brezeln und Bier ein, hockten uns aufs Pflaster, klatschten mit und bejubelten jenes Lied, worin einer im strömenden Regen vergeblich auf seine bessere Hälfte wartet, bis er klatschnass ist und die Perle zum Teufel wünscht. Oh babe, oh baby, kumm vorbei un bütz mich…
Zwei hübsche Frauen kümmern sich um Obdachlose, die beim Dumont-Brunnen auf der Straße sitzen, sicher nicht sehr alt, aber verdammt runtergekommen, besoffen und versifft. Eine schneidet ihnen die Haare, die andere tätowiert sie. Bestimmt hat es so ausgesehen, als sich vor zwei Jahrtausenden auf einer einsamen Rheininsel „blonde Ubiermädchen mit römischen Legionären trafen“. Das steht so geschrieben auf der „Schmitz-Säule“ in der Altstadt. Die jeckste Sehenswürdigkeit der Agrippinenser, eine aus plumpen Ziegeln gemauerte Säule auf einem kleinen Betonquader, dem man auch noch Hochwasserdaten nebst der Information eingemeißelt hat, dass am Tag der Einweihung der Säule Onkel Sam fast 400.000 Kilometer entfernt von ihr auf dem Mond landete. „Zo Foß noh Kölle jonn“ ist nun mal nicht unbedingt das größte denkbare Abenteuer. Leider ist es bisher noch niemandem gelungen, trotz „Arsch huh - Zäng ussenander“, die braunen Nagelbombenschmeißer, den Messerattentäter am Hals der Oberbürgermeisterin und all die anderen kölschen Nazi-Arschlöcher auf den Mond zu schießen. „Liebe deine Stadt“ steht in riesigen Lettern über der Nord-Süd-Fahrt geschrieben. Schleyers Leibwächter sind hier auch erschossen worden. Die Grube des Stadtarchivs ist von bedrohlicher Tiefe.
Wie auf der Flucht flitzt ein Jogger über die Zoobrücke. Er wird fliehen vor dem Alkoholikerfernsehen der RTL-Gruppe, drüben auf der „schäl Sick“. Vor einem Karneval, wo jedem Bützchen neuerdings Grundsatzdiskussionen anhänglich sind, der Nubbel nicht mehr verbrannt wird, weil die Schnapsleichen das Krematorium verstopfen, kölsche Musiker - kein Sultan mehr, kein Kapitän, kein Lehrer - in hypertrophischer Einfalt nur noch lokalpatriotische Mantras absondern und das Kölsch des Dreigeistirns so angeboren klingt wie das Deutsch bemühter Schweden. Die Gondeln der Rheinseilbahn ziehen gemächlich am Himmel vorüber, kreuzen die Straße, den Rhein, fast gleichgültig, als seien sie noch immer jene, die meine Mutter als Kind sah. Es sitzen, wie bei Wim Wenders, Engel in langen Mänteln drin und lesen sich aus Notizbüchern all das vor, was geschieht unter den Menschen hier in der Stadt:
In Rodenkirchen hat eine Marktfrau Fisch in „Express“-Papier gewickelt und sich dabei halb kaputt gelacht. – In Widdersdorf wollte sich einer erschießen, aber er hat dann in einem Pfandleihhaus seine Waffe verpfändet, sich eine Mandoline gekauft, sich damit an die Straße gesetzt und nur noch „Dadada“, gespielt, „Ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht“ – In Sürth hat sich ein Exhibitionist auf einem Friedhof vor einer alten Frau entblößt, die Frau gab ihm darauf ganz unbeeindruckt ein Butterbrot und ließ ihn stehen. – In Immendorf haben Leute ihr Pokémon gefunden, in einer mittelalterlichen Abfallgrube. – Zwei Tippelbrüder haben im Deutzer Hafen für ein freies Tibet demonstriert, nur diese zwei, und waren dabei ganz nüchtern. – In Kalk hat es an einer Ampelkreuzung ein Hupkonzert gegeben, weil sich zwei Polizisten ihrem Streifenwagen küssten. – Eine Trödlerin vom Neumarkt hat ihre ganze Ware verschenkt, vor Freude, nur weil endlich jemand mit ihr gesprochen hat. – Eine Neunjährige hat auf einem Bolzplatz in Dellbrück einen Elfer geschossen, ihr Vater stand im Tor, seitdem trinkt er nicht mehr.
Es ist eine Stadt wie jede andere. Vergisst man mal ihre überdimensionierte Beichtbaracke, die, verkleidet als Parkhaus, das ganze Jahr Karneval feiert. Aber fühle ich mich nicht wie der Dackel von Tom Gerhardt, als ich an der Ulrepforte wild in ein Gebüsch pisse? Niemals geht man so ganz, irgendwas von dir bleibt hier. Und würde ich mein Pipi in ein kleines Fläschchen füllen und „4511“ drauf schreiben, wäre das auch Kölnisch Wasser, denn das ist fast das Geburtsdatum meiner Mutter, die wuchs als sächsisches Kind im Ruhrpott auf, das ist auch ein Schmelztiegel, wir sind auch alle Kölner! Bin nicht ich der Sachse, der im Kostüm des irakischen Diktators in Gerd Kösters Krätzchen „Saddam Alaaf“ auf den preußischen Kaiser und eine Zigeunerin trifft, mit Yassir Arafat verwechselt und am Ende totgeschlagen wird? Bin ich nicht ein Holzwurm im pastellfarbenen Baukran auf der Bauruine des Doms im zerfledderten Heinzelmännchenbuch meiner Kindheit? Ich bin Urquhardt vom Loch Ness, der gedungene Mörder aus Schätzings „Tod und Teufel“! Ich bin Papageno, seit ich mit vier Jahren im Schwarzweißflimmerkasten den Spatz vom Wallrafplatz sah! BAPageno, seit ich mit 15 mein erstes Müsli verschmähte.
Leergutsammler mit kleinen Taschenlampen durchwühlen bei Nieselregen Abfalleimer auf dem Heinrich-Böll-Platz. Darunter, in der Kölner Philharmonie saß ich einmal beim Konzert eines zeitgenössischen Komponisten inmitten eines Sextetts alter Achtundsechziger. Sie unterhielten sich hinterher im Restaurant ungeheuer literarisch. Vier Elke Heidenreichs und zwei Hellmuth Karaseks sprachen gediegen über Katalysatoren, Grünkohl, portugiesische Chirurgen, einen Stau auf der A2 und machten Witze über das Weh in George Bush. Ich vermisste in ihren Ausführungen den Weltfrieden, aber immerhin standen auf den Bierdeckeln die Worte „Alaaf you“ und für mein Gefühl hätte diese Runde in keiner anderen Stadt als in einer mit diesen Bierdeckeln stattfinden können.
An der Aachener Straße sehe ich eine Frau in einem Alfa Romeo rechts ran fahren. Ihre Schönheit muss ungeheuer teuer eingekauft sein, doch sie sieht verzweifelt aus, als sie aussteigt und einen rettungslos-ungebügelten alten Mann nach dem Weg zum Rautenstrauch-Joest-Museum fragt. Der Mann sitzt auf einem zerfledderten Klappstuhl vor der Zufahrt zu einem Parkhaus, sein vernarbtes Ledergesicht sagt in der Raserei eines 90er-Jahre-Modems eine überausführliche Wegbeschreibung in breitestem Kölsch auf. Die Dame bedankt sich akzentuiert, mit großer Geste, steigt leichenblass in ihr Auto und flennt wie ein montenegrinisches Klageweib. Mitten auf dem Neumarkt schlägt irgendein Klingelpützfreak in Hoodie und tarnfarbenen Hosen irgendwem die Fresse ein. Blut spritzt, wird wohl um Drogen gehen, nehme ich an, tatütata. Melaten ist nicht weit. Wo sich höchstens Eichhörnchen zwischen Gräbern und Marmorpappnasen um Nüsse balgen. Vor dem Hauptbahnhof demonstrieren Kurden gegen die Lieferung deutscher Panzer an Erdoğan. Die Schlüsselchen von Vorhängeschlössern werden im Dutzend über die Brüstungen der Hohenzollernbrücke geschmissen. IF YOU DON´T WANT YOUR DREAMS COME TRUE WAKE UP!!!, hat jemand an eine Mauer geschrieben. Am Bauzaun des jüdischen Museums haben irgendwelche Drecksäue antisemitische Aufkleber hinterlassen. Ich fotografiere die Werbung einer Tanzschule, die Chargesheimer auch vor der Linse gehabt haben könnte: ein schwarzweiß skizziertes Pärchen tanzt wohl seit der Nachkriegszeit schon erstarrt da an der Fassade. Nur ein paar Ladenlokale weiter ragt über dem Eingang der Fleischerei Brock ein Hirschgeweih in die Höhe, der Laden hat gerade dicht gemacht, nach 111 Jahren. Ein ’Ndrangheta-kompatibles Biergärtchen fällt mir ins Auge, mit Eros Ramazotti in Lautsprechern und belle donne, die bei Espressi und Tiramisu unter Zitronenbäumchen sitzen. Pasta di cozze con carne e molto di Forza, sangen früher LSE dazu in Colonialienisch.
Die Pommesbude auf dem Millowitsch-Platz ist inzwischen zu, der Platz neben Willy auf dem Bänkchen nach wie vor frei. Ich liebe seine Stadt, keiner muss mir die Aufforderung dazu in den Weg stellen. Sie ist großkotzig wie Berlin, hausbacken wie München, verdreckt wie Duisburg, korrupt wie Chicago, aber immerhin schöner als Düsseldorf. Es gibt hier sogar German Style Tax Free Shops mit angeblich echten Schwarzwälder Kuckucksuhren. Der Regen wird stärker. Auf dem Pflaster vergeht eine aufgeweichte Zeitung mit einer gerade noch lesbaren Hochwasserwarnung. Tut mit leid, Willy, dat Wasser vun Kölle es jot, aber wer kommt schon hierher, um zu bleiben!? Auf dem alten Foto meiner Mutter ist mehr Kahn als Köln zu sehen. Bei Wenders heißt es im letzten Bild: „Wir sind eingeschifft“.
Jens E. Gelbhaar 2018
Danze
Tanzschule Schulerecki
www.schulerecki.de/tanzschule-schulerecki/
House Of Dance - Schulerecki´s Dancing School
Köln / Cologne 2015
Dazu ein paar Impressionen aus der Domstadt. Ich freue mich auch über Kommentare zum Text!
Molto di Forza – Köln-Impressionen
Warum ich mich denn nicht neben „dä Willy“ setze, will sie wissen. Ich lehne, eine Schale Currywurst-Pommes auf der Hand, mit dem Hintern an einem Abfalleimer. Eine dürre Greisin blickt mich an. Sie und ein dicker kleiner Mann sitzen an einem Caféhaustischchen vor einer Kaffeebar auf dem Willy-Millowitsch-Platz, davor Willy auf seiner Bank als Denkmal. Neben ihm wäre noch ein Platz frei. Ich will ihn nicht stören. „Aaach“, winkt das Pärchen lachend ab, „Dä stören Se doch nit.“ Willy blickt, ein Bein übergeschlagen, in die Szenerie. „Maat üür Sauerei zo Hus“, brüllt die Imbisstante aus der Bude nebenan. Eine junge Frau hat ihre volle Pommesschale direkt vor der Verkaufstheke fallen lassen und tut so, als habe sie das gar nicht bemerkt. Mayonnaise glänzt in der Sonne. Telefone führen ihre Halter Gassi. Willy lächelt. Mein Menü ist verputzt. Die Pappschale fliegt in den Müll. Weiter geht’s. Ein Spätsommertag von Telenovelaformat. Nur einer steht stur im Wintermantel rum, unweit von hier, bei Aposteln, sinnierenden Blicks, in sich versunken, unbeachtet, schmal wie zu Lebzeiten auf einem nicht minder schmalen Sockel - Adenauer. Vor ihm tun sich Gassen voller Altbauten mit versprayten Fassaden auf. Irgendwo hoch über mir toben sich Santanas Erben an Kongas aus, irgendein Radio hält „Atemlos“ dagegen. Gerüstbauer brüllen sich an, Möbelpacker schwitzen, kleine Läden und Kneipen flirren am Auge vorüber. Von abblätterndem graubraunen Putz grinst mich ein kackender Bart Simpson an. Stunksitzung.
„Wir fahren jetzt nach Köln!“, hatte meine Mutter gesagt. Da tanzten in der Sporthalle Micky, Minnie, Goofy und Pluto auf Schlittschuhen. Holiday On Ice. Mein erstes Köln, ich fand es doof als Neunjähriger und wollte lieber einen Dom aus dem Souvenirshop. Das erste Köln meiner Mutter war spannender gewesen. Sie hatte als gleichfalls Neunjährige eine Gondel der nagelneuen Seilbahn von der Mitte des Rheins aus fotografiert. Das Ding schwebte über ihrem Kopf zur Flora hin, als Oppas Frachtschiff zu Tal fuhr. Muttern hielt ihre Agfa-Box in die Höhe und drückte den Auslöser. Man sieht ein Stück Steuerhäuschen auf dem Bild und die Gondel ganz klein im Nachkriegshimmel. Mir blieb nur die Erinnerung an Donald Duck, wie er zur Musik von James Last auf die Fresse fiel und eine Kathedralenreplik aus Alteisen. Sie verstaubte im Bücherregal, bis ich 15 war. Da verkündete mein Klassenlehrer: „Wir fahren nach Köln!“. Was in Schülersprache der 70er übersetzt hieß: Wir fliegen zum Saturn. Dem Pflichtprogramm, im Dom Treppenstufen zählen und im Römisch-Germanischen Museum alte Sandalen, folgte die Intensivrecherche des Paradieses - der Schallplattenabteilung im Stammhaus des Elektronikriesen am Hansaring. Dessen Schaufenster werden von Tier- und Menschenköpfen gekrönt und bewacht. Ich verliebte mich schon als Teenager in den Affen dort und verließ den Markt mit Pink Floyd, Udo Lindenberg, AC/DC und dem kölschen Lemmy Kilmister - Jürgen Zeltinger, der abweichende Ansichten davon hatte, was kölsche Junge sind:
Schabau en d’r Fläsch,
dä Knüppel en d’r Täsch,
un wann m’r keine Knüppel han,
dann schlag’n m’r met d’r Fläsch
Was waren schon ein Souvenirdom und ein 25 Jahre altes Schwarzweißfoto gegen ein paar stimmungsvolle rheinische Vokabeln!? Oder gegen die Erinnerungen meiner Großmutter an ihr erstes Domstadterlebnis. ‛48, im ersten Karneval nach dem Krieg hatte die Alte die geballte Depression der Nazi-Jahre, Bomben, Hunger und all den Scheiß abgeschüttelt, mit 45 zum ersten Mal im Leben so richtig die Sau rausgelassen und sich in Trümmerwüsten bis zur Oberkante voll laufen lassen. So schlimm, dass sie - die Rheinnixen jodelten die Trizonesien-Hymne - bei der Rückkehr in den Hafen beinah von der Gangbord unseres Schiffs ins Wasser gefallen wäre. Aber wer treibt sich schon in Köln rum, um baden zu gehen?
Ich komme bei den Resten von St. Maria Ad Ortum an. Ein floral verziertes Kruzifiux korrespondiert mit den Antennen auf dem Dach des WDR-Gebäudes. Nicht weit von hier steht ein Businesspark der 50er Jahre, der Gerling-Komplex, ein Gruselkabinett reinster faschistischer Ästhetik. Zum Glück ist gleich nebenan der Klapperhof. Ein Rotlichtbezirk war das mal und schon die Römer könnten hier gefickt haben. Jedenfalls fährt man, wenn man gegenüber verlassener Nachtclubs in eine Tiefgarage eintaucht, an zweitausendjährigen Reliefs vorbei. Auch die Römer sind hier wie Omma und Oppa durch die Gegend gefahren, mit Schiffen. Heute würden manche Bewohner der Kranhäuser am Rheinufer die Kähne am liebsten aus dem Rhein verbannen; Sie fühlen sich von deren Maschinenlärm um den Schlaf gebracht. Zum Teufel, wer treibt sich schon in Köln rum, um zu pennen? Maritimes liegt der Stadt aber ohnehin nicht so sehr, könnte man denken, mal abgesehen vom „Möllemer Böötche“; Ein echter hoch aufragender Leuchtturm wurde weit weg vom Wasser gebaut, in Ehrenfeld. Er blickt, Labor eines Glühbirnenkrämers, herab auf ein Gewirr aus Studenten, Parzellen im Dauerumbruch, fußballfeldgroßen QR-Codes auf Altbaufassaden, unzähligen Dönerläden, einer Badeanstalt aus Kaisers Zeiten und einer Bruchbude, die früher das Arkadaş-Theater gewesen ist. Ich sah hier mal eine getanzte Island-Saga. Die Solo-Vorstellung einer Tänzerin, welche mich später in die Kölner Oper einlud, als die noch begehbar war. Dort gab es den „Rigoletto“ der Medienstadt: es schwoften lauter Typen mit Headsets und altmodischen Videokameras um den Herzog von Mantua herum, das waren wohl Berlusconis Minister. Ein Inspizient der Oper lud uns hinterher zum Essen ein. Zum Anbaggern suchte der sich die Kellnerin aus, die war dicker als er selbst und trug ein Dirndl. Es war tief genug ausgeschnitten für den Inspizienten, der das „Rumpsteak Erika“ nur für den Fall bestellen wollte, dass es nach der Kellnerin benannt war. Die Kellnerin bestand darauf, dass sie nicht Erika hieß und mit dem Namen der Speisen nicht in Verbindung gebracht werden wolle. Beugte sich jedoch, als sie ihm die Seezunge „Jeanette“ an grünen Bohnen und Prinzesskartöffelchen servierte, tief genug herunter, dass er Appetit auf eine doppelte Portion Bayrische Creme zum Nachgang entwickelte. Wer kommt schon für Flönz nach Köln?
Getrüffelte Kapaune, Schinken in Madeira, Steinbutte mit Erdschwämmen, sowas aß man 1880 zur Feier der Vollendung des Doms. Ich stehe im Zeughaus, dem Stadtmuseum vor der Tischkarte aus dem Gürzenich und dem farbenfrohen Gemälde eines Herrn Hörle, das honorige Kölner Zeitgenossen der Neunzehnhundertdreißiger zeigt: Ostermann, Adenauer, einen Boxer, eine Sängerin, den Künstler selbst. Ich werde das Bild nachstellen, nehme ich mir vor, mit Frau Reker neben Poldi, Kebekus, Niedecken und Krautmacher. Aber meins wird greller sein und ich werde nicht auskommen ohne Ab- und Hintergründe, Stadtarchiv, Keupstraße, Baucontainer, Clochards in den Domtüren, Ballauf und Schenk ratlos zwischen Grapschern vor dem Hauptbahnhof statt Jan und Griet am Alter Markt und, als versöhnlichen Akzent sozusagen, die Bläck Fööss mit Ladysmith Black Mambazo auf der Domplatte. Letzteres war hundert Jahre nach den gefüllten Kapaunen.
Wir hatten uns verfranst und standen im Stau auf dem Ring. Ein gewaltiger Basaltblock lag da, wo gewöhnlich zwei Rückbänke montiert waren. Das Ding drückte Henris Kleinbus gefährlich dem Asphalt entgegen, mein Freund der Steinmetz hatte sich den Rohling in der Eifel besorgt für sein Gesellenstück. Vielleicht war der Stau an jenem Tag besonders arg, weil die Gladbecker Geiselmörder gerade Station in der Stadt machten und alle sie sehen wollten. Henri, ich und der Basaltblock wollten eigentlich nur nach Hause, hundert Kilometer weiter rheinabwärts, aber daraus wurde nichts. Wir ließen den Wagen am Straßenrand stehen, strandeten in der Kölner Altstadt und sahen die Fööss mit den Sängern vom schwarzen Kontinent bei ihrem Konzert. Wir deckten uns mit Brezeln und Bier ein, hockten uns aufs Pflaster, klatschten mit und bejubelten jenes Lied, worin einer im strömenden Regen vergeblich auf seine bessere Hälfte wartet, bis er klatschnass ist und die Perle zum Teufel wünscht. Oh babe, oh baby, kumm vorbei un bütz mich…
Zwei hübsche Frauen kümmern sich um Obdachlose, die beim Dumont-Brunnen auf der Straße sitzen, sicher nicht sehr alt, aber verdammt runtergekommen, besoffen und versifft. Eine schneidet ihnen die Haare, die andere tätowiert sie. Bestimmt hat es so ausgesehen, als sich vor zwei Jahrtausenden auf einer einsamen Rheininsel „blonde Ubiermädchen mit römischen Legionären trafen“. Das steht so geschrieben auf der „Schmitz-Säule“ in der Altstadt. Die jeckste Sehenswürdigkeit der Agrippinenser, eine aus plumpen Ziegeln gemauerte Säule auf einem kleinen Betonquader, dem man auch noch Hochwasserdaten nebst der Information eingemeißelt hat, dass am Tag der Einweihung der Säule Onkel Sam fast 400.000 Kilometer entfernt von ihr auf dem Mond landete. „Zo Foß noh Kölle jonn“ ist nun mal nicht unbedingt das größte denkbare Abenteuer. Leider ist es bisher noch niemandem gelungen, trotz „Arsch huh - Zäng ussenander“, die braunen Nagelbombenschmeißer, den Messerattentäter am Hals der Oberbürgermeisterin und all die anderen kölschen Nazi-Arschlöcher auf den Mond zu schießen. „Liebe deine Stadt“ steht in riesigen Lettern über der Nord-Süd-Fahrt geschrieben. Schleyers Leibwächter sind hier auch erschossen worden. Die Grube des Stadtarchivs ist von bedrohlicher Tiefe.
Wie auf der Flucht flitzt ein Jogger über die Zoobrücke. Er wird fliehen vor dem Alkoholikerfernsehen der RTL-Gruppe, drüben auf der „schäl Sick“. Vor einem Karneval, wo jedem Bützchen neuerdings Grundsatzdiskussionen anhänglich sind, der Nubbel nicht mehr verbrannt wird, weil die Schnapsleichen das Krematorium verstopfen, kölsche Musiker - kein Sultan mehr, kein Kapitän, kein Lehrer - in hypertrophischer Einfalt nur noch lokalpatriotische Mantras absondern und das Kölsch des Dreigeistirns so angeboren klingt wie das Deutsch bemühter Schweden. Die Gondeln der Rheinseilbahn ziehen gemächlich am Himmel vorüber, kreuzen die Straße, den Rhein, fast gleichgültig, als seien sie noch immer jene, die meine Mutter als Kind sah. Es sitzen, wie bei Wim Wenders, Engel in langen Mänteln drin und lesen sich aus Notizbüchern all das vor, was geschieht unter den Menschen hier in der Stadt:
In Rodenkirchen hat eine Marktfrau Fisch in „Express“-Papier gewickelt und sich dabei halb kaputt gelacht. – In Widdersdorf wollte sich einer erschießen, aber er hat dann in einem Pfandleihhaus seine Waffe verpfändet, sich eine Mandoline gekauft, sich damit an die Straße gesetzt und nur noch „Dadada“, gespielt, „Ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht“ – In Sürth hat sich ein Exhibitionist auf einem Friedhof vor einer alten Frau entblößt, die Frau gab ihm darauf ganz unbeeindruckt ein Butterbrot und ließ ihn stehen. – In Immendorf haben Leute ihr Pokémon gefunden, in einer mittelalterlichen Abfallgrube. – Zwei Tippelbrüder haben im Deutzer Hafen für ein freies Tibet demonstriert, nur diese zwei, und waren dabei ganz nüchtern. – In Kalk hat es an einer Ampelkreuzung ein Hupkonzert gegeben, weil sich zwei Polizisten ihrem Streifenwagen küssten. – Eine Trödlerin vom Neumarkt hat ihre ganze Ware verschenkt, vor Freude, nur weil endlich jemand mit ihr gesprochen hat. – Eine Neunjährige hat auf einem Bolzplatz in Dellbrück einen Elfer geschossen, ihr Vater stand im Tor, seitdem trinkt er nicht mehr.
Es ist eine Stadt wie jede andere. Vergisst man mal ihre überdimensionierte Beichtbaracke, die, verkleidet als Parkhaus, das ganze Jahr Karneval feiert. Aber fühle ich mich nicht wie der Dackel von Tom Gerhardt, als ich an der Ulrepforte wild in ein Gebüsch pisse? Niemals geht man so ganz, irgendwas von dir bleibt hier. Und würde ich mein Pipi in ein kleines Fläschchen füllen und „4511“ drauf schreiben, wäre das auch Kölnisch Wasser, denn das ist fast das Geburtsdatum meiner Mutter, die wuchs als sächsisches Kind im Ruhrpott auf, das ist auch ein Schmelztiegel, wir sind auch alle Kölner! Bin nicht ich der Sachse, der im Kostüm des irakischen Diktators in Gerd Kösters Krätzchen „Saddam Alaaf“ auf den preußischen Kaiser und eine Zigeunerin trifft, mit Yassir Arafat verwechselt und am Ende totgeschlagen wird? Bin ich nicht ein Holzwurm im pastellfarbenen Baukran auf der Bauruine des Doms im zerfledderten Heinzelmännchenbuch meiner Kindheit? Ich bin Urquhardt vom Loch Ness, der gedungene Mörder aus Schätzings „Tod und Teufel“! Ich bin Papageno, seit ich mit vier Jahren im Schwarzweißflimmerkasten den Spatz vom Wallrafplatz sah! BAPageno, seit ich mit 15 mein erstes Müsli verschmähte.
Leergutsammler mit kleinen Taschenlampen durchwühlen bei Nieselregen Abfalleimer auf dem Heinrich-Böll-Platz. Darunter, in der Kölner Philharmonie saß ich einmal beim Konzert eines zeitgenössischen Komponisten inmitten eines Sextetts alter Achtundsechziger. Sie unterhielten sich hinterher im Restaurant ungeheuer literarisch. Vier Elke Heidenreichs und zwei Hellmuth Karaseks sprachen gediegen über Katalysatoren, Grünkohl, portugiesische Chirurgen, einen Stau auf der A2 und machten Witze über das Weh in George Bush. Ich vermisste in ihren Ausführungen den Weltfrieden, aber immerhin standen auf den Bierdeckeln die Worte „Alaaf you“ und für mein Gefühl hätte diese Runde in keiner anderen Stadt als in einer mit diesen Bierdeckeln stattfinden können.
An der Aachener Straße sehe ich eine Frau in einem Alfa Romeo rechts ran fahren. Ihre Schönheit muss ungeheuer teuer eingekauft sein, doch sie sieht verzweifelt aus, als sie aussteigt und einen rettungslos-ungebügelten alten Mann nach dem Weg zum Rautenstrauch-Joest-Museum fragt. Der Mann sitzt auf einem zerfledderten Klappstuhl vor der Zufahrt zu einem Parkhaus, sein vernarbtes Ledergesicht sagt in der Raserei eines 90er-Jahre-Modems eine überausführliche Wegbeschreibung in breitestem Kölsch auf. Die Dame bedankt sich akzentuiert, mit großer Geste, steigt leichenblass in ihr Auto und flennt wie ein montenegrinisches Klageweib. Mitten auf dem Neumarkt schlägt irgendein Klingelpützfreak in Hoodie und tarnfarbenen Hosen irgendwem die Fresse ein. Blut spritzt, wird wohl um Drogen gehen, nehme ich an, tatütata. Melaten ist nicht weit. Wo sich höchstens Eichhörnchen zwischen Gräbern und Marmorpappnasen um Nüsse balgen. Vor dem Hauptbahnhof demonstrieren Kurden gegen die Lieferung deutscher Panzer an Erdoğan. Die Schlüsselchen von Vorhängeschlössern werden im Dutzend über die Brüstungen der Hohenzollernbrücke geschmissen. IF YOU DON´T WANT YOUR DREAMS COME TRUE WAKE UP!!!, hat jemand an eine Mauer geschrieben. Am Bauzaun des jüdischen Museums haben irgendwelche Drecksäue antisemitische Aufkleber hinterlassen. Ich fotografiere die Werbung einer Tanzschule, die Chargesheimer auch vor der Linse gehabt haben könnte: ein schwarzweiß skizziertes Pärchen tanzt wohl seit der Nachkriegszeit schon erstarrt da an der Fassade. Nur ein paar Ladenlokale weiter ragt über dem Eingang der Fleischerei Brock ein Hirschgeweih in die Höhe, der Laden hat gerade dicht gemacht, nach 111 Jahren. Ein ’Ndrangheta-kompatibles Biergärtchen fällt mir ins Auge, mit Eros Ramazotti in Lautsprechern und belle donne, die bei Espressi und Tiramisu unter Zitronenbäumchen sitzen. Pasta di cozze con carne e molto di Forza, sangen früher LSE dazu in Colonialienisch.
Die Pommesbude auf dem Millowitsch-Platz ist inzwischen zu, der Platz neben Willy auf dem Bänkchen nach wie vor frei. Ich liebe seine Stadt, keiner muss mir die Aufforderung dazu in den Weg stellen. Sie ist großkotzig wie Berlin, hausbacken wie München, verdreckt wie Duisburg, korrupt wie Chicago, aber immerhin schöner als Düsseldorf. Es gibt hier sogar German Style Tax Free Shops mit angeblich echten Schwarzwälder Kuckucksuhren. Der Regen wird stärker. Auf dem Pflaster vergeht eine aufgeweichte Zeitung mit einer gerade noch lesbaren Hochwasserwarnung. Tut mit leid, Willy, dat Wasser vun Kölle es jot, aber wer kommt schon hierher, um zu bleiben!? Auf dem alten Foto meiner Mutter ist mehr Kahn als Köln zu sehen. Bei Wenders heißt es im letzten Bild: „Wir sind eingeschifft“.
Jens E. Gelbhaar 2018