USA IM NIEDERGANG - Nicht ohne Berlin
Merkel trifft Biden: Washington versucht, BRD im Kampf gegen Beijing und Moskau zu umgarnen. Nach wie vor Differenzen in Wirtschaftspolitik
(Jörg Kronauer, www.jungewelt.de/artikel/406346.usa-im-niedergang-nicht-o...)
Illusionslos blickten österreichische Medien zu Wochenbeginn in die Vereinigten Staaten, wo sich gerade Bundeskanzler Sebastian Kurz aufhielt. Gleich zweimal, im Februar 2019 und im März 2020, wäre Kurz von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus empfangen worden, hätte nicht die Covid-19-Pandemie seinen zweiten Besuch verhindert. Seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel hingegen war 2019 bei ihren beiden USA-Reisen nicht in Washington willkommen geheißen worden, hatte sich statt dessen nach Boston und nach New York zu den Vereinten Nationen bemüht. Jetzt aber war es andersrum: Während Kurz am Montag mit UN-Generalsekretär António Guterres zusammentraf und keinerlei Chance auf ein Treffen mit Trumps Nachfolger Joseph Biden hatte, wird Merkel am Donnerstag sogar mit einem festlichen Dinner im Weißen Haus geehrt. Habe Trump Deutschland stets zu umgehen versucht, so zitierte die Wiener Presse den Außenpolitikexperten Peter Rough von der konservativen Washingtoner Denkfabrik Hudson Institute, so fokussiere Biden seine Europapolitik auf die Bundesrepublik.
In der Tat: Die Biden-Administration hat die BRD zuletzt mit ungewöhnlichen Lobhudeleien bedacht. Merkel sei »die Regierungschefin, die ich in Europa am meisten bewundere«, sagte Biden Mitte Juni in einem Instagram-Videoclip und fügte auf Twitter hinzu: »Die Bindungen zwischen unseren beiden Nationen sind stärker denn je«. Sein Außenminister Antony Blinken schleimte seinen glücklichen Amtskollegen Heiko Maas kurz darauf an: »Die USA haben in der Welt keinen besseren Freund als Deutschland.« Das ist Strategie. Hatte Trump darauf gesetzt, US-Interessen im offenen Konflikt mit Berlin durchzusetzen, so versucht sich Biden an einer Art Umarmungstaktik; der heutige feierliche Empfang für Merkel gehört dazu. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei allen Interessensüberschneidungen – beide Seiten sind ganz klar daran interessiert, die globale Dominanz des Westens gegen China und Russland zu verteidigen – erhebliche Differenzen fortbestehen. Das gilt zum Beispiel für die Erdgaspipeline Nord Stream 2 und für den US-Sanktionskrieg gegen China, aber auch für manche Aspekte der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.
Die sind einerseits weiterhin überaus eng. Aktuelle Angaben des Statistischen Bundesamts zeigen: Die Vereinigten Staaten sind zwar nur drittgrößter Handelspartner der Bundesrepublik und fallen immer weiter hinter die Nummer eins, China, und hinter die Niederlande mit ihrem riesigen Hafen in Rotterdam zurück. Allerdings haben sie sich als größter Abnehmer deutscher Exporte behauptet; in der Coronapandemie schien das zeitweise ungewiss. Und: Deutsche Unternehmen haben in den USA mehr als viermal so viel investiert wie in China und erzielen dort gewaltige Profite. Vergangene Woche etwa wurde bekannt, dass Siemens dem US-Bahnbetreiber Amtrak für 3,4 Milliarden US-Dollar (2,87 Milliarden Euro) 73 neue Züge liefern wird; 140 weitere könnten hinzukommen. Voraussetzung war aufgrund der Bidenschen »Buy American«-Politik, dass Siemens die Züge an einem seiner US-Standorte baut. Die umfangreichen Infrastrukturprojekte der Biden-Administration wecken auch bei anderen deutschen Unternehmen, die in den Vereinigten Staaten investiert haben, die Hoffnung auf neuen Profit.
Das kann freilich über anhaltende Spannungen gerade in den Wirtschaftsbeziehungen nicht hinwegtäuschen. Washington hält zum Schutz seiner Stahlindustrie auch unter Biden an den unter Trump eingeführten Strafzöllen gegen Stahlimporte aus der EU fest. Die »Buy American«-Politik muss zwar kein Hindernis für profitable Geschäfte sein, wenn man – wie so viele deutsche Unternehmen – in den USA investiert hat; lästig ist sie allerdings doch. Umgekehrt ruft es in Washington Unmut hervor, dass Berlin und Brüssel sich der befristeten Aussetzung von Covid-19-Impfstoffpatenten weiterhin hartnäckig verweigern; für Donnerstag sind Proteste dagegen nahe dem Weißen Haus geplant. Weiterer Ärger steht nicht nur im Streit um die geplante EU-Digitalabgabe bevor, die die EU-Kommission nach einer harschen Intervention von US-Finanzministerin Janet Yellen zu Wochenbeginn bis zum Herbst auf Eis gelegt hat. Auch der Plan für eine CO2-Grenzabgabe, den die Kommission Mittwoch präsentieren wollte, verheißt einen neuen Konflikt: Biden, der großspurig eine enge Kooperation im Kampf gegen die Klimakrise angeboten hatte, sieht dadurch US-Exportinteressen bedroht.
Kooperationsprojekte, die all diese Differenzen ein wenig in den Hintergrund drängen könnten, haben beide Seiten vor allem auf dem IT-Sektor und bei damit verbundenen Technologien im Blick. So haben Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim EU-USA-Gipfel am 15. Juni offiziell den EU-US Trade and Technology Council (TTC) gegründet. Er soll gemeinsame Standards für Zukunftstechnologien insbesondere auf digitalem Feld entwickeln – für künstliche Intelligenz, für Cybersicherheit, für Datenregulierung: Es gelte zu verhindern, dass China »die Regeln für Handel und Technologie für das 21. Jahrhundert« schreibe, hatte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jacob Sullivan zuvor das Ziel erläutert. Aktuell ist zudem eine intensive transatlantische Kooperation in der Chipproduktion im Gespräch. Diese wird gegenwärtig von Konzernen aus Ostasien dominiert – aus Taiwan, Südkorea, Japan und China. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will neue Halbleiterfabriken in der EU errichten lassen und hat dabei eine Zusammenarbeit mit dem US-Konzern Intel im Blick. Dessen Chef Patrick Gelsinger verhandelte darüber erst kürzlich mit Bundeskanzlerin Merkel. Intel hat zuletzt Investitionen im Wert von 20 Milliarden US-Dollar an einem Standort in der EU in Aussicht gestellt.
Hintergrund: Nord Stream 2
Auch bei den letzten Gesprächen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington steht sie auf der Tagesordnung: die Erdgaspipeline Nord -Stream 2. Bis Ende August werde sie vermutlich fertig sein, teilte Matthias Warnig, Chef der Betreiberfirma, am Wochenende mit; noch in diesem Jahr solle sie dann in Betrieb genommen werden. Das Gezerre um die Leitung ist trotzdem längst nicht vorüber. US-Präsident Joseph Biden hat zwar versprochen, keine Sanktionen gegen Warnig und die Nord Stream 2 AG in Kraft zu setzen. Seine Administration übt aber weiterhin Druck auf Berlin aus, Zugeständnisse zu machen. Offizielles Ziel: Russland soll gezwungen werden, auch in Zukunft Erdgas durch ukrainische Röhren nach Westen zu liefern, damit Kiew auf die dringend benötigten Transitgebühren nicht verzichten muss. Merkel wird sich an diesem Donnerstag in Washington um eine Einigung bemühen, hat allerdings die Erwartungen gedämpft: Man sei in den Verhandlungen noch »mittendrin«, erklärte sie am Montag beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij in Berlin.
Diskutiert wurden zuletzt für den Fall, dass Russland den Erdgastransitvertrag mit der Ukraine nicht verlängern oder aus ihm aussteigen sollte, offenbar vor allem zwei Optionen. Die eine wurde als »Kill switch« bezeichnet, als »Notschalter«; gemeint ist, dass Nord -Stream 2, sollte Russland in die ukrainischen Leitungen irgendwann einmal kein Erdgas mehr einspeisen, quasi automatisch abgeschaltet wird. Der Haken an der Sache: Damit wäre die Versorgung der BRD und anderer EU-Staaten auf einen Schlag akut gefährdet. Eine zweite Option bestand dem Vernehmen nach darin, dass die BRD und die EU womöglich wegfallende Transitgebühren der Ukraine cash kompensieren. Damit ist natürlich Berlin nicht einverstanden. Eine dritte Option: Die Ukraine könnte mit Solar- und Windenergie Wasserstoff als Energieträger erzeugen und ihn durch ihre Erdgaspipelines nach Westen leiten. Berlin wäre wohl zu einer Anschubfinanzierung bereit: Es eröffnete schließlich der deutschen Branche für erneuerbare Energieträger einen neuen Absatzmarkt. (jk)
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USA IM NIEDERGANG - Nicht ohne Berlin
Merkel trifft Biden: Washington versucht, BRD im Kampf gegen Beijing und Moskau zu umgarnen. Nach wie vor Differenzen in Wirtschaftspolitik
(Jörg Kronauer, www.jungewelt.de/artikel/406346.usa-im-niedergang-nicht-o...)
Illusionslos blickten österreichische Medien zu Wochenbeginn in die Vereinigten Staaten, wo sich gerade Bundeskanzler Sebastian Kurz aufhielt. Gleich zweimal, im Februar 2019 und im März 2020, wäre Kurz von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus empfangen worden, hätte nicht die Covid-19-Pandemie seinen zweiten Besuch verhindert. Seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel hingegen war 2019 bei ihren beiden USA-Reisen nicht in Washington willkommen geheißen worden, hatte sich statt dessen nach Boston und nach New York zu den Vereinten Nationen bemüht. Jetzt aber war es andersrum: Während Kurz am Montag mit UN-Generalsekretär António Guterres zusammentraf und keinerlei Chance auf ein Treffen mit Trumps Nachfolger Joseph Biden hatte, wird Merkel am Donnerstag sogar mit einem festlichen Dinner im Weißen Haus geehrt. Habe Trump Deutschland stets zu umgehen versucht, so zitierte die Wiener Presse den Außenpolitikexperten Peter Rough von der konservativen Washingtoner Denkfabrik Hudson Institute, so fokussiere Biden seine Europapolitik auf die Bundesrepublik.
In der Tat: Die Biden-Administration hat die BRD zuletzt mit ungewöhnlichen Lobhudeleien bedacht. Merkel sei »die Regierungschefin, die ich in Europa am meisten bewundere«, sagte Biden Mitte Juni in einem Instagram-Videoclip und fügte auf Twitter hinzu: »Die Bindungen zwischen unseren beiden Nationen sind stärker denn je«. Sein Außenminister Antony Blinken schleimte seinen glücklichen Amtskollegen Heiko Maas kurz darauf an: »Die USA haben in der Welt keinen besseren Freund als Deutschland.« Das ist Strategie. Hatte Trump darauf gesetzt, US-Interessen im offenen Konflikt mit Berlin durchzusetzen, so versucht sich Biden an einer Art Umarmungstaktik; der heutige feierliche Empfang für Merkel gehört dazu. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei allen Interessensüberschneidungen – beide Seiten sind ganz klar daran interessiert, die globale Dominanz des Westens gegen China und Russland zu verteidigen – erhebliche Differenzen fortbestehen. Das gilt zum Beispiel für die Erdgaspipeline Nord Stream 2 und für den US-Sanktionskrieg gegen China, aber auch für manche Aspekte der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.
Die sind einerseits weiterhin überaus eng. Aktuelle Angaben des Statistischen Bundesamts zeigen: Die Vereinigten Staaten sind zwar nur drittgrößter Handelspartner der Bundesrepublik und fallen immer weiter hinter die Nummer eins, China, und hinter die Niederlande mit ihrem riesigen Hafen in Rotterdam zurück. Allerdings haben sie sich als größter Abnehmer deutscher Exporte behauptet; in der Coronapandemie schien das zeitweise ungewiss. Und: Deutsche Unternehmen haben in den USA mehr als viermal so viel investiert wie in China und erzielen dort gewaltige Profite. Vergangene Woche etwa wurde bekannt, dass Siemens dem US-Bahnbetreiber Amtrak für 3,4 Milliarden US-Dollar (2,87 Milliarden Euro) 73 neue Züge liefern wird; 140 weitere könnten hinzukommen. Voraussetzung war aufgrund der Bidenschen »Buy American«-Politik, dass Siemens die Züge an einem seiner US-Standorte baut. Die umfangreichen Infrastrukturprojekte der Biden-Administration wecken auch bei anderen deutschen Unternehmen, die in den Vereinigten Staaten investiert haben, die Hoffnung auf neuen Profit.
Das kann freilich über anhaltende Spannungen gerade in den Wirtschaftsbeziehungen nicht hinwegtäuschen. Washington hält zum Schutz seiner Stahlindustrie auch unter Biden an den unter Trump eingeführten Strafzöllen gegen Stahlimporte aus der EU fest. Die »Buy American«-Politik muss zwar kein Hindernis für profitable Geschäfte sein, wenn man – wie so viele deutsche Unternehmen – in den USA investiert hat; lästig ist sie allerdings doch. Umgekehrt ruft es in Washington Unmut hervor, dass Berlin und Brüssel sich der befristeten Aussetzung von Covid-19-Impfstoffpatenten weiterhin hartnäckig verweigern; für Donnerstag sind Proteste dagegen nahe dem Weißen Haus geplant. Weiterer Ärger steht nicht nur im Streit um die geplante EU-Digitalabgabe bevor, die die EU-Kommission nach einer harschen Intervention von US-Finanzministerin Janet Yellen zu Wochenbeginn bis zum Herbst auf Eis gelegt hat. Auch der Plan für eine CO2-Grenzabgabe, den die Kommission Mittwoch präsentieren wollte, verheißt einen neuen Konflikt: Biden, der großspurig eine enge Kooperation im Kampf gegen die Klimakrise angeboten hatte, sieht dadurch US-Exportinteressen bedroht.
Kooperationsprojekte, die all diese Differenzen ein wenig in den Hintergrund drängen könnten, haben beide Seiten vor allem auf dem IT-Sektor und bei damit verbundenen Technologien im Blick. So haben Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim EU-USA-Gipfel am 15. Juni offiziell den EU-US Trade and Technology Council (TTC) gegründet. Er soll gemeinsame Standards für Zukunftstechnologien insbesondere auf digitalem Feld entwickeln – für künstliche Intelligenz, für Cybersicherheit, für Datenregulierung: Es gelte zu verhindern, dass China »die Regeln für Handel und Technologie für das 21. Jahrhundert« schreibe, hatte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jacob Sullivan zuvor das Ziel erläutert. Aktuell ist zudem eine intensive transatlantische Kooperation in der Chipproduktion im Gespräch. Diese wird gegenwärtig von Konzernen aus Ostasien dominiert – aus Taiwan, Südkorea, Japan und China. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will neue Halbleiterfabriken in der EU errichten lassen und hat dabei eine Zusammenarbeit mit dem US-Konzern Intel im Blick. Dessen Chef Patrick Gelsinger verhandelte darüber erst kürzlich mit Bundeskanzlerin Merkel. Intel hat zuletzt Investitionen im Wert von 20 Milliarden US-Dollar an einem Standort in der EU in Aussicht gestellt.
Hintergrund: Nord Stream 2
Auch bei den letzten Gesprächen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington steht sie auf der Tagesordnung: die Erdgaspipeline Nord -Stream 2. Bis Ende August werde sie vermutlich fertig sein, teilte Matthias Warnig, Chef der Betreiberfirma, am Wochenende mit; noch in diesem Jahr solle sie dann in Betrieb genommen werden. Das Gezerre um die Leitung ist trotzdem längst nicht vorüber. US-Präsident Joseph Biden hat zwar versprochen, keine Sanktionen gegen Warnig und die Nord Stream 2 AG in Kraft zu setzen. Seine Administration übt aber weiterhin Druck auf Berlin aus, Zugeständnisse zu machen. Offizielles Ziel: Russland soll gezwungen werden, auch in Zukunft Erdgas durch ukrainische Röhren nach Westen zu liefern, damit Kiew auf die dringend benötigten Transitgebühren nicht verzichten muss. Merkel wird sich an diesem Donnerstag in Washington um eine Einigung bemühen, hat allerdings die Erwartungen gedämpft: Man sei in den Verhandlungen noch »mittendrin«, erklärte sie am Montag beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij in Berlin.
Diskutiert wurden zuletzt für den Fall, dass Russland den Erdgastransitvertrag mit der Ukraine nicht verlängern oder aus ihm aussteigen sollte, offenbar vor allem zwei Optionen. Die eine wurde als »Kill switch« bezeichnet, als »Notschalter«; gemeint ist, dass Nord -Stream 2, sollte Russland in die ukrainischen Leitungen irgendwann einmal kein Erdgas mehr einspeisen, quasi automatisch abgeschaltet wird. Der Haken an der Sache: Damit wäre die Versorgung der BRD und anderer EU-Staaten auf einen Schlag akut gefährdet. Eine zweite Option bestand dem Vernehmen nach darin, dass die BRD und die EU womöglich wegfallende Transitgebühren der Ukraine cash kompensieren. Damit ist natürlich Berlin nicht einverstanden. Eine dritte Option: Die Ukraine könnte mit Solar- und Windenergie Wasserstoff als Energieträger erzeugen und ihn durch ihre Erdgaspipelines nach Westen leiten. Berlin wäre wohl zu einer Anschubfinanzierung bereit: Es eröffnete schließlich der deutschen Branche für erneuerbare Energieträger einen neuen Absatzmarkt. (jk)
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