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Im „Fall Skripal“ wird die Öffentichkeit von westeuropäischer Politik und Medien belogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Die diesbezüglichen Anschuldigungen gegen zwei russische Bürger halten einer wissenschaftlichen Analyse nicht stand.

(von Andreas von Westphalen, aus www.rubikon.news/artikel/das-skripal-labyrinth)

 

Exakt ein halbes Jahr nach den versuchten Morden an dem Doppelagenten Sergei Skripal und seiner Tochter Julia und nach Monaten mehr oder minder ereignislosem Wartens präsentierte die britische Polizei Fotos und Namen der beiden angeblichen Täter: Ruslan Boschirow und Alexander Petrow. Wenig später wartete das "Recherchenetzwerk" bellingcat mit der Enthüllung auf, in Wirklichkeit seien die Namen Decknamen für zwei russische Geheimdienstmitarbeiter. Die Bild-Zeitung jubelt: „Skripal-Attentäter arbeitet für Russen-Geheimdienst“ und Spiegel Online konstatiert nüchtern: „Präsident Putin setzt seinen Militärgeheimdienst beim Giftanschlag in Salisbury und bei Hackerangriffen gegen den Westen ein.“

 

Fall gelöst? Akte geschlossen? Tatsächlich ist der Fall ausgesprochen kompliziert und der Blick auf das tatsächliche Geschehen durch eine Vielzahl von Nebelkerzen, Halbwahrheiten und falschen Fragen verstellt. Daher wird dieser Artikel versuchen, Schritt für Schritt die zentralen Argumente der britischen und der russischen Seite zu präsentieren, Widersprüche aufzuzeigen und den Blick auf die unbeantworteten Fragen zu lenken. Dadurch soll das Labyrinth Skripal etwas übersichtlicher werden, auch wenn das Unterfangen sehr umfangreich und ohne ein eindeutiges Ergebnis sein wird.

 

Aufgrund der Länge werden die Überschriften der Hauptteile mit einer römischen Ziffer bezeichnet. Hier vorab eine Übersicht der Teile:

 

I. IDENTIFIKATION DER VERDÄCHTIGEN

II. BEWEISE DER TÄTERSCHAFT

III. SKRIPALS TAGESABLAUF

IV. TATZEIT UND TATORT

V. DIE TATWAFFE

VI. DAS OPFER

VII. BEWEISSCHULD

 

 

II. BEWEISE DER TÄTERSCHAFT

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die bloße Anwesenheit von angeblichen Geheimdienstmitarbeitern in Salisbury ein ausreichender Beweis für ihre Täterschaft ist. Allein, dass in diesem Falle die Verdächtigen und Russland die Tatsache leugnen würden, dass es sich um Geheimdienstmitarbeiter handelt, besagt nicht wirklich etwas. Da es auch andere Gründe geben kann, ihre Identität zu verbergen, ist dies nicht zwangsläufig ein Schuldeingeständnis.

 

Welche Beweise liegen also momentan vor, dass es sich bei den beiden Verdächtigen tatsächlich um die Täter handelt?

 

Kontaminiertes Hotelzimmer

Zwei Monate nach der Tat untersuchte die britische Polizei das Hotelzimmer der beiden Verdächtigen. Offiziell heißt es:

 

„Zwei Abstriche zeigten eine Kontamination von Nowitschok auf einem Niveau unter demjenigen, das die öffentliche Gesundheit gefährden würde. Es wurde beschlossen, vorsorglich weitere Proben aus dem Raum zu entnehmen, auch in den gleichen Bereichen, die ursprünglich getestet wurden, und alle Ergebnisse waren negativ. Wir glauben, dass der erste Prozess der Abstriche die Kontamination beseitigt hat, so niedrig waren die Spuren von Nowitschok im Raum.“ (32).

 

Es ist erstaunlich, dass die Polizei Nowitschok auf zwei Abstrichen nachweisen, aber diesen Test nicht wiederholen kann. Erstaunlicher ist aber, dass in diesem Falle die beiden Verdächtigen in ihrem kleinen Doppelzimmer mit dem Gift hantiert haben müssten — und sich nicht vergiftet hätten.

 

Merkwürdigerweise wurde der Hotelbesitzer nach eigenen Angaben monatelang von der Polizei nicht darüber informiert, nicht einmal in welchem Hotelzimmer die beiden gewohnt haben — seine Hotelunterlagen und die Aufnahmen der Videoüberwachung musste er der Polizei übergeben (33). Dies erklärte er im September. Warum machte die Polizei den Hotelbesitzer also vier Monate lang keine Angaben über eine mögliche Vergiftung? War die Polizei sich so sicher, dass es insgesamt nur noch zwei Abstriche Gift im Zimmer gab und dieses Zimmer nun komplett giftfrei war? Gab es keinen Grund, die zukünftigen Hotelgäste zu schützen?

 

Test mit Türklinke

Sir Mark Sedwill, britischer Sicherheitsberater, teilte in einem Brief an NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit, dass Großbritannien Informationen vorlägen, Russland habe die Anwendung von Gift an Türklinken getestet (34). Natürlich ist diese Information, gerade in dem aktuell stattfindenden Propaganda-Krieg, sehr schwer einzuschätzen, so dass sie kaum als Beweis taugt.

 

Offizielle Zeittafel und Überwachungsfotos

Werfen wir nun einen Blick auf die offizielle Zeittafel der Bewegungen der beiden Verdächtigen und die offiziell veröffentlichten Video-Überwachungsbilder.

 

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Verdächtige um 11.48 Uhr, Salisbury Bahnhof

 

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Verdächtige um 11.58 Uhr, Wilton Road

 

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Verdächtige um 13.05 Uhr, Fisherton Road

 

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Verdächtige um 13.08 Uhr, Fisherton Road

 

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Verdächtige um 13.50 Uhr, Salisbury Bahnhof

 

In der Nähe des Tatorts

Das entscheidende Indiz für die Verdächtigung ist die Nähe der Beiden zum Tatort. So heißt es offiziell: „Die Videoüberwachung zeigt sie in der Nähe des Hauses von Herrn Skripal, und wir glauben, dass sie die Haustür mit Novichok kontaminiert haben“ (35). Dies war um 11.58 Uhr auf der Wilton Road.

 

„In der Nähe des Hauses“ ist sicherlich ein starkes Indiz, aber keineswegs ein Beweis. „In der Nähe“ ist auch durchaus relativ zu verstehen. Die Überwachungskamera an der Shell-Station an der A36 liegt etwa 400 Meter vom Haus der Skripals entfernt, was drei Abzweigungen erforderte, um dorthin zu gelangen. Daher spricht die Polizei auch davon, dass sie „glauben“, es handle sich um die Täter. Daher drängt sich nun die Frage nach der Motivation der beiden Verdächtigen auf: Waren sie Touristen in Salisbury oder galt Skripal ihr Interesse?

 

Abstecher nach Salisbury

In ihrem Interview mit „Russia Today“ erklären die beiden Verdächtigen ihre Reise nach Salisbury: „Ursprünglich wollten wir nach London fliegen und dort etwas Spaß haben. Diesmal war es keine Geschäftsreise.“ (36). Aber Freunde hatten ihnen von Salisbury lange Zeit vorgeschwärmt, also entschieden die beiden Verdächtigen:

 

„Unser Plan war, einige Zeit in London zu verbringen und dann Salisbury zu besuchen. Natürlich wollten wir das alles an einem Tag machen. Aber als wir dort ankamen, konnte unser Flugzeug bei seinem Anflug nicht landen. Das liegt an all dem Chaos, das sie mit dem Transport in Großbritannien am 2. und 3. März hatten. Es gab starken Schneefall, fast alle Städte waren gelähmt. Wir konnten nirgendwo hingehen.“

 

Über ihren ersten Aufenthalt in Salisbury am 3. März sagen sie:

 

„Wir wollten durch die Stadt spazieren gehen, aber da die ganze Stadt mit Schnee bedeckt war, verbrachten wir dort nur 30 Minuten. Wir waren alle nass.“

 

Am 4. März versuchten sie es noch einmal, aber „um die Mittagszeit gab es heftigen Schneeregen“. Sie behaupten, die berühmte Kathedrale gesehen und von ihr Fotos gemacht zu haben, bevor sie entschieden, wieder nach London zurückzufahren. Den Vorschlag des Journalisten von „Russia Today“, ihre Aufnahmen der Kathedrale zu zeigen, lehnen sie zwar nicht ab, gehen aber auch nicht darauf ein.

 

Merkwürdige Touristen

Der Erklärungsversuch der beiden Verdächtigen traf in Großbritannien auf breite Skepsis. Stellvertretend sei hier der detaillierte Widerlegungsversuch von Steven Morris in „The Guardian“ genannt (37).

 

Das Wetterchaos am 2. März, dem Tag der Ankunft der beiden Verdächtigen, entspricht zwar durchaus der Wahrheit (38), aber die Beschreibung für den 3. März, der ersten Ankunft der beiden in Salisbury, die offiziell als Erkundungsreise betrachtet wird, stößt auf Unglauben. Sie verließen London um 11.45 Uhr, erreichten nach zweieinhalbstündiger Zugfahrt Salisbury und blieben dort weniger als zwei Stunden. Das Wetter hielt sie angeblich sogar davon ab, die Kathedrale von Salisbury zu besuchen, die nur zwölf Minuten Gehzeit vom Bahnhof entfernt ist. Bilder aus dem Stadtzentrum belegen, dass dort nur noch spärlich Schnee lag. Da die britische Polizei für den 3. März leider keine Videoaufnahmen veröffentlicht hat, kann man über die Wege der beiden Verdächtigen nur spekulieren. Sie selber erklären, dass sie vierzig Minuten bis eine Stunde im Bahnhofscafé verbracht hätten.

 

Am 4. März reisten die Beiden wieder nach Salisbury, um dort bei besserem Wetter wieder ihr Glück zu versuchen. Ihr Verhalten nach Ankunft am Bahnhof widerspricht für Steven Morris definitiv ihrer Erklärung, sie seien dort auf Sightseeing-Tour gewesen:

 

„Nach Angaben der britischen Behörden sind die Männer, nachdem sie am 4. März um 11.48 Uhr in Salisbury angekommen waren, nicht direkt ins Stadtzentrum oder zur Kathedrale gegangen. Sie hätten rechts in die Stadt abbiegen müssen, wenn sie dem Touristenweg folgen wollten. Stattdessen bogen sie nach links ab und gingen direkt in das Wohngebiet nordwestlich der Stadt, in dem Skripal lebte.“

 

Danach kann man anhand verschiedener veröffentlichter Videoaufnahmen ihre Wegstrecke teilweise rekonstruieren:

 

„Sie wurden um 11.58 Uhr von einer CCTV-Kamera an einer Shell-Tankstelle in der Wilton Road gefilmt. Auf der anderen Seite der Straße befindet sich ein baumgesäumter Weg, der zum Skripal-Haus an der Christie Miller Road führt. Wenn sie direkt zum Haus gingen und den Angriff durchführten, wären sie kurz nach Mittag an der Haustür von Skripal gewesen.“

 

Die Frage von Steven Morris und vielen anderen lautet daher, weshalb sind die beiden Verdächtigen nicht in Richtung der Sehenswürdigkeiten der Stadt gegangen, sondern in Richtung eines Wohnviertels? Leider stellt der Journalist von „Russia Today“ Boschirow und Petrow diese konkrete Frage nicht.

 

Aber auch im weiteren Verlauf ihres Aufenthalts in Salisbury lässt ihr Verhalten Zweifel daran aufkommen, dass sie als Touristen unterwegs sind. Morris weiter:

 

„Um 13.05 Uhr, waren sie nach Angaben der britischen Behörden im Stadtzentrum an der Fisherton Street. Die Polizei hat keine Angaben darüber gemacht, wie sie dorthin gekommen sind. An diesem Punkt waren sie nur wenige Minuten zu Fuß von der Kathedrale entfernt. Es gibt eine Lücke von etwa 40 Minuten in der Zeitachse, die die Polizei zur Verfügung gestellt hat, zwischen dem Zeitpunkt, an dem das Paar in der Fisherton Street gesehen wurde, und dem Zeitpunkt, an dem CCTV-Kameras sie um 13.50 Uhr auf dem Rückweg nach London am Bahnhof filmen. Warum haben sie so wenig Zeit in Salisbury verbracht?“

 

Petrow erklärt im Interview, ihre frühzeitige Rückreise habe wieder am schlechten Wetter gelegen. Betrachtet man die Uhrzeiten, haben sich die beiden für die Besichtigung der Kathedrale maximal eine halbe Stunde Zeit genommen, wenn sie sie überhaupt besucht haben. Ein Beweis sind sie hierfür bisher schuldig geblieben.

 

Zu guter Letzt: Steven Morris weist auch darauf hin, dass sie am 4. März das berühmte Stonehenge hätten besuchen können, wenn sie tatsächlich so viel Wert darauf gelegt hätten, wie sie im Interview erklärten. Denn im Gegensatz zum Vortag war am 4. März Stonehenge wieder für Besucher geöffnet (39).

 

In der Tat wirkt die Erklärung der beiden im Interview wenig glaubhaft, zu sehr widerspricht ihr Verhalten dem Verhalten eines interessierten Touristen, der insbesondere Salisbury sehen möchte und hierfür extra aus Russland angeflogen kommt. Vor allem die Frage, warum sie nicht — wie vermutlich alle Touristen — direkt zur Kathedrale gegangen sind, sondern stattdessen in ein Wohnviertel, lässt diese Erklärung seltsam erscheinen. Sind also die Fakten ein starkes Indiz dafür, dass sie eigentlich in Salisbury auf geheimer Mission waren, um Skripal zu töten?

 

Merkwürdiges Killerteam

Das Wetter in Salisbury am 3. und 4. März war tatsächlich nicht besonders einladend. Zudem tragen die beiden Verdächtigen für das unangenehme Wetter nicht wirklich die passende Kleidung, insbesondere die Sneakers, die sie am Nachmittag des 3. März in London gekauft hatten. Die offiziellen Überwachungsfotos belegen, dass sie durchaus nasse Füße gehabt haben dürften. Dieser Umstand, den man nicht vergessen sollte, lässt vielleicht ihr Verhalten in Salisbury weniger sprunghaft aussehen, als es war. Aber es beantwortet nicht die Frage, weshalb sie sich zuerst in Richtung des Wohngebiets bewegten.

 

Geht man einmal von der Arbeitsthese aus, die beiden seien tatsächlich die Attentäter, dann ergibt sich eine ganz zentrale Frage, die auch Craig Murray stellt:

 

„Das größere Geheimnis dieser beiden ist, als sie das Skripal-Haus besuchten und Nowitschok auf den Türgriff anbrachten: warum gingen sie dann danach wieder geradewegs am Bahnhof vorbei und gingen ins Stadtzentrum von Salisbury, wo sie scheinbar sorgenlos beim Schaufensterbummel in einem Münz- und Souvenirladen gesehen wurden, bevor sie schließlich zum Bahnhof zurückkehrten? Es scheint ein sehr seltsames Fluchtverhalten nach einem versuchten Mord zu sein. In Wahrheit steht ihr Verhalten auf den Fotos im Einklang mit ihrer Tourismusgeschichte.“ (40).

 

Abhängen in Salisbury

Nachdem sie um 13.05 Uhr an der Ecke Fisherton/Bridge Street von einer Überwachungskamera gefilmt wurden, und in Richtung des Bahnhofs gingen, wo sie um 13.27 Uhr den nächsten Zug nach London hätten nehmen können, machten die beiden Verdächtigen etwas ausgesprochen schwer Nachvollziehbares: Nichts.

 

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Verdächtige um 13.49 Uhr, Schaufenster des Geschäfts Dauweilers

 

Sie werden um 13.49 von der Überwachungskamera des Geschäfts Dauweilers gefilmt, das unter anderem alte Münze verkauft. Die Beiden betrachten ausführlich das Schaufenster und wollen eintreten, doch das Geschäft ist geschlossen. Sie hatten bereits ihren Zug um 13.27 Uhr verpasst und hätten sicherlich auch ihren nächsten Zug nach London nicht erreicht, wenn das Geschäft offen gewesen und sie eingetreten wären.

 

Besonders merkwürdig: Das Geschäft liegt ganze 200 Meter von dem Ort entfernt, wo sie 40 Minuten zuvor von einer Videoüberwachungskamera gefilmt wurden. Warum verbrachten sie 40 Minuten gleichsam nichtstuend, insbesondere bei dem unangenehmen Wetter? Und insbesondere wenn sie angeblich gerade einen Mordversuch unternommen haben sollten?

 

So fragwürdig also die Erklärung dafür ist, die beiden Verdächtigen hätten eine Sightseeing-Tour in Salisbury gemacht, so wenig überzeugend wird ihr Verhalten dadurch erklärt, dass sie angeblich einen geheimen Mordauftrag ausführten.

 

Nebenbei sei ein interessanter Umstand angemerkt, der aber vielleicht nur ein Zufall ist. Wie Bay Kurley betont, verbringen die beiden Verdächtigen ihre 40 unerklärlichen Minuten in einem Umkreis von 100 Metern von der exakten Route, die Skripal um 13.30 Uhr in die Stadt nehmen wird, bevor er anschließend Enten füttert (41).

 

Inkompetenz?

Im Hinblick auf ihre Aktivitäten in Salisbury ergeben sich noch eine ganze Reihe weiterer Fragen, sobald man die These zugrunde legt, sie hätten ein Attentat auf Skripal und seine Tochter unternommen. Gerade wenn es sich bei ihnen um Geheimdienstmitarbeiter handeln soll, erscheinen einige Aspekte mehr als unverständlich:

Sie hätten den Mordversuch unternommen, ohne vorab die Gegend des Tatorts zu erkunden — man darf davon ausgehen, dass die britische Polizei Überwachungsbilder des Vortages zeigen würde, wenn die Beiden auch hier in der Nähe des Tatorts gewesen wären. Dies ist umso erstaunlicher, als sich Skripals Haus am Ende einer langgezogenen, gut einsehbaren Sackgasse befindet, wo man geeignete Fluchtwege vergeblich sucht.

Sie hätten den Mordversuch am hellen Tag unternommen.

Sie hätten ihn bei Schneewetter unternommen, obwohl bekannt ist, dass Nowitschok hier recht schnell seine Wirkung verliert.

Sie hätten ihn unternommen, ohne sicher sein zu können, dass Skripal nicht zu Hause ist und sie bei der Tat überrascht.

 

Ross Cassidy, Nachbar und enger Freund Skripals, wundert sich ebenfalls:

„Diese Typen sind professionelle Attentäter. Es wäre für sie viel zu dreist gewesen, an einem Sonntagmittag am helllichten Tag in eine Sackgasse zu gehen. Sergeis Haus liegt in der Sackgasse. Er hatte eine umgebaute Garage, die er als sein Büro nutzte — das gibt einen freien Blick auf die Straße. Fast immer öffnete Sergei uns die Tür, bevor wir die Chance hatten zu klopfen. Wann immer wir ihn besuchten, sah er, wie wir uns näherten.” (42).

Warum haben sie hingegen den Mordversuch nicht vor Morgengrauen durchgeführt, um sicher sein zu können, dass Skripal zu Hause ist und dass er in Bälde auch die Türklinke berühren würde, wenn er das Haus verlässt?

Sie hätten den Mordversuch unternommen, ohne zu wissen, wann Skripal nach Hause kommt. Wenn Skripal erst am Abend zurückgekehrt wäre oder gar am nächsten Tag, wäre der Mordversuch von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.

 

Warum wurde nicht abgewartet, dass Skripal nach Russland zurückkehrt, um den 90. Geburtstag mit seiner Mutter zu feiern, wie es laut seinem Freund Ross Cassidy Skripals Plan und Wunsch war?

Warum unternehmen sie keinerlei Anstrengungen, um unerkannt zu bleiben?

Warum nehmen sie kein Hotel in Salisbury, um weniger „Angriffsfläche“ für die Überwachung zu geben und zur Not ihre Anwesenheit als Touristen leicht tarnen zu können?

Warum nehmen sie keine Mietwagen anstatt mit dem Zug zu fahren und dann zu Fuß zu gehen?

Warum vermeiden sie keine Videoüberwachungsbilder?

Warum haben sie ihr Äußeres nicht verändert?

 

...

 

V. DIE TATWAFFE

Kommen wir nun zur Tatwaffe. Im Gegensatz zur Frage der Tatzeit scheint dieser Aspekt der Tat mehr als ausreichend dokumentiert und Nowitschok als Tatwaffe eindeutig identifiziert zu sein. Leider ist aber auch die Frage nach der Tatwaffe weiterhin ein zentraler Abschnitt im Labyrinth Skripal.

 

Jeder hat es

Ein ursprüngliches Hauptargument für die Verdächtigung Russlands hat sich aus sehr besorgniserregenden Gründen völlig in Luft aufgelöst. Anfangs hieß es, dass Nowitschok ausschließlich in Russland hergestellt wird, so dass dessen Verwendung schon an sich ein hinreichender Beweis sei, um Russland als Hauptverdächtigen auszumachen — sowie die Tatsache, dass Skripal ein ehemaliger Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes war.

 

Im Laufe der Monate hat sich jedoch eine erschreckend lange Liste von Ländern ergeben, die im Besitz von Nowitschok sind oder waren. Beispielsweise gehört hierzu nun auch Tschechien, die mit Nowitschok im Jahr 2017 experimentiert haben (59). Ebenso hatte auch Deutschland eine Probe des Nervengiftes (60). Die Vermutung steht sogar im Raum, dass es Nowitschok in Labors von weiteren NATO-Ländern gab. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion verweigerte die Bundesregierung Ende April die Antwort (61).

 

Die OPCW

Man sollte daher an die Schlussfolgerung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erinnern:

 

„Die Ergebnisse der Analyse (...) bestätigen die Ergebnisse des Vereinigten Königreichs in Bezug auf die Identität der toxischen Chemikalie, die in Salisbury verwendet wurde und drei Personen schwer verletzte. Das TAV-Team stellt fest, dass die giftige Chemikalie von hoher Reinheit war. Letzteres wird aus dem nahezu vollständigen Fehlen von Verunreinigungen geschlossen.“ (62).

 

Entgegen einer Reihe anderslautender Medienberichte identifiziert die OPCW mit keinem Wort Russland als Herkunftsland des Nervengiftes.

 

Bizarr das Verhalten des Direktors der OPCW. Ahmet Uzumcu hatte der „New York Times“ vollmundig erklärt, dass beim Mordversuch 50 bis 100 Gramm Nowitschok verwendet worden seien (63). Tatsächlich musste die Organisation ihren Direktor wegen dieser groben Falschaussage öffentlich korrigieren, denn ihrer Einschätzung nach handelt es sich wahrscheinlich um eine Menge im Milligramm-Bereich (64).

 

Ein nicht-tödliches tödliches Gift

Grundsätzlich bleiben zwei zentrale Fragen rund um das Nervengift Nowitschok weiterhin unbeantwortet: Warum war das Gift nicht tödlich? Warum setzte die Wirkung des Giftes erst mit mehreren Stunden Verspätung ein?

 

Der letztmögliche Zeitpunkt, an dem die Skripals das Gift hätten berühren können, ist 13.15 Uhr. Danach fuhren sie in die Stadt und besuchten offiziell ein Restaurant und anschließend ein Pub. Erst drei Stunden nach dem spätesten Zeitpunkt einer möglichen Vergiftung brachen die Skripals zusammen und Passanten riefen einen Notarzt. Die offene Frage lautet daher sehr einfach: Ist dies der normale Verlauf einer Vergiftung mit Nowitschok?

 

Des Weiteren steht die Frage im Raum, weshalb ein hochkomplexer Anschlag mit einem militärischen Nervengift durchgeführt wird, wenn dieses Gift nicht tödlich ist. Dan Kaszeta, Spezialist für ABC-Waffen und Mitarbeiter von „bellingcat“ vermutet:

 

„Alle Organophosphat-Nervenstoffe werden in Gegenwart von Wasser durch einen Mechanismus namens Hydrolyse abgebaut. Also, ist der fragliche Türgriff nass geworden? Salisbury ist nicht bekannt für ein trockenes Klima.“ (65).

 

Tatsächlich schneite es am Wochenende der Tat (66). Diese scheinbar einzige Erklärung führt aber zwangsläufig zur Konstatierung der Inkompetenz mit der der Anschlag durchgeführt worden wäre.

 

Richard Guthrie, Experte für Chemiewaffen, sieht den Grund für die reduzierte Wirksamkeit des Giftes in der Substanz, die dem Gift beigemischt wurde und auf die Klinke gebracht worden sein könnte:

 

„Wenn eine Hand diese Türklinke berührt, braucht man ein Material, das an der Hand haften bleibt, ohne auf eine andere Oberfläche zu fallen. Es ist sehr selten, dass ein Gift das selbst macht.“

 

Guthrie spekuliert, es könnte sich um eine Creme oder eine ölige Substanz handeln. Dies hätte aber auch verhindert, dass genügend Gift in die Haut eindringen konnte, um tödlich zu wirken (67).

 

Das mag zwar plausibel klingen, würde aber wieder eine Inkompetenz der Attentäter dokumentieren. Zudem dürfte der Idee, zusätzliches Material sei beigefügt worden, die extrem hohe Reinheit des Giftes widersprechen, die die OPCW festgestellt hat. Daher schließt sich auch die Frage an: In welcher Form wurde das Gift auf der Türklinke angebracht?

 

Nur ein Vollidiot

Wil Mirsajanow, Mitenwickler von Nowitschok in den 1980er Jahren, erklärte im Interview mit dem russischen Rundfunksender „Kommersant FM“ im Hinblick auf das feuchte Wetter, das in Salisbury am Tattag herrschte:

 

„Bei solcher Luftfeuchtigkeit hat nur ein Idiot diesen Stoff einsetzen können, der nichts über die chemischen Eigenschaften von Nowitschok weiß. Wenn man es ins Wasser gibt, wird es nach ein paar Stunden keine Spur mehr davon geben.“ (68).

 

Fehlende Sicherheitsvorkehrung

Mit der Verwendung von Nowitschok geht noch eine weitere Frage einher. Wenn die beiden Verdächtigen tatsächlich die Täter sein sollen, haben sie das Gift vermutlich ohne adäquaten Schutzanzug angebracht. Auf den Bildern der Videoüberwachungskamera sieht man sie mit nur einem einzigen mittelgroßen Rucksack.

 

Zum Vergleich betrachte man die Schutzanzüge, die bei der Spurensicherung in Salisbury aus Sicherheitsgründen verwendet wurden (69). Der Polizist Nick Bailey, der als Dritter mit Nowitschok vergiftet wurde, erlitt die Verletzung durch das Nervengift, obwohl er Handschuhe trug, als er die Türklinke anfasste (70). Warum also riskieren die beiden Tatverdächtigen ihre Gesundheit, um nicht zu sagen ihr Leben?

 

Hinterlegtes Beweisstück

Am 27. Juni, fast vier Monate nach dem Anschlagsversuch auf die Skripals, fand Charlie Rowley ein Parfümfläschchen in einer Charity-Box in Salisbury. Er nahm es mit nach Hause, wo sich drei Tage später seine Freundin Dawn Sturgess mit Nowitschock vergiften sollte, das sich tatsächlich in der Parfümflasche befand. Sie verstarb an den Folgen.

 

Rowley betont später, dass die Parfümflasche „ungeöffnet war, die Schachtel, in der sie sich befand, war versiegelt, und dass sie ein Messer benutzen mussten, um sie durchzuschneiden“ (71). Daraus ergeben sich aber einmal mehr entscheidende Fragen: Warum sollten die Täter ein Beweisstück in Salisbury hinterlassen haben? Und wo ist der Behälter, in dem sich das Nervengift befand, das an Skripals Haus benutzt wurde?

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VI. DAS OPFER

Allzu leicht verliert man bei der Untersuchung des Mordversuchs die Person Sergei Skripals aus den Augen. Der Hinweis, dass er ein früherer russischer Geheimdienstmitarbeiter gewesen ist, erscheint vollkommen ausreichend, um ein Mordmotiv für die russische Seite zu begründen. Dass er aber bereits all sein Wissen gegen Geld an den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 verkauft hatte und seit vierzehn Jahren über keine neuen Informationen über Russland verfügt, wird gerne vergessen.

 

Arbeitgeber

Seit dem Jahr 2010, als Skripal mit drei weiteren Doppelagenten in einem US-amerikanisch-russischen Deal gegen festgenommene russische Agenten ausgetauscht wurde, lebte er in Großbritannien. Die Frage stellt sich, wovon er eigentlich lebte. Tatsächlich war Skripal bis zu seiner versuchten Ermordung mit Wissen Großbritanniens für nicht weniger als vier Geheimdienste tätig (72). Er informierte die tschechischen Sicherheitsbehörden (73). Er war ebenfalls als Berater in Estland (74). Skripal arbeitete aber auch mit dem spanischen Geheimdienst CNI in ihrem Kampf gegen das organisierte Verbrechen zusammen (75).

 

Damit wäre aber auch durchaus denkbar, dass Skripal nicht im Fadenkreuz der russischen Politik, sondern der russischen Mafia war. Und zu guter Letzt war er auch weiterhin für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 tätig.

 

Das Trump-Dossier

Skripals Arbeit betraf aber vermutlich auch einen anderen sensiblen Bereich. Der „Telegraph“ berichtete nur drei Tage nach dem Mordversuch:

 

„Ein Sicherheitsberater, der für das Unternehmen gearbeitet hat, das das umstrittene Dossier über Donald Trump zusammengestellt hat, lebte in der Nähe des am vergangenen Wochenende vergifteten russischen Doppelagenten, so wurde behauptet. Der Berater, den ‚The Telegraph‘ nicht identifizieren will, lebte in der Nähe von Col. Skripal und soll ihn schon seit einiger Zeit kennen.“ (76).

 

Das ominöse Trump-Dossier, welches belegen soll, dass Trump zum einen durch Russland unterstützt wurde und zum anderen Russland über kompromittierendes Material gegen Trump verfügen soll, wurde von Christopher Steele geschrieben (77).

 

Steele war längere Zeit für den MI6 tätig, erst seit 1999 von Moskau aus, dann war er bis 2006 der Leiter der Russland-Abteilung des MI6 in London, bevor er den Geheimdienst verließ und das Business-Intelligence-Unternehmen Orbis gründete. Seit Veröffentlichung des Trump-Dossiers ist er untergetaucht (78).

 

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich Steele für Informationen über Trumps Verbindungen nach Russland nicht an Skripal gewendet haben würde, der in einem der größten Austausch-Aktionen von Spionen aus Russland nach Großbritannien freigekommen war und den Steele aufgrund seiner Position innerhalb des MI6 gekannt haben muss. Diese Meinung vertritt auch Professor Anthony Glees, Direktor des Centre for Security and Intelligence Studies an der University of Buckingham (79).

 

CNN berichtet von einer weiteren Person, die sich hinter dem Berater verstecken soll, den „The Telegraph“ nicht identifizieren möchte. CNN beruft sich auf eine Darstellung des russischen Geheimdienstes FSB, die von einem enttarnten Agenten erfahren hatten, dass dieser von Pablo Miller rekrutiert worden war, der als Mitarbeiter des MI6 in der britischen Botschaft in Estland arbeitete. Diese Botschaft war bereits als führende Stelle von Skripal identifiziert worden, als dieser noch als Doppelagent tätig war (80).

 

Pablo Miller lebt zudem ebenso wie Skripal in Salisbury, was der Aussage des „Telegraph“ entsprechen würde. Seine LinkedIn-Seite verwies zudem auf seine Arbeit für Orbis, der Firma von Christopher Steele. Allerdings besteht „Guardian“-Journalist Luke Harding darauf, dass diese Info nicht stimme, ohne dies jedoch näher zu belegen (81).

 

Der Aspekt einer möglichen Mitarbeit am Trump-Dossier von Skripal zieht noch weitere Kreise. Am 7. März, am selben Tag wie das Erscheinen des obigen Artikels im „Telegraph“, die den Sicherheitsberater, der am Trump-Dossier arbeitete und Skripal kannte, nicht idenfitizieren wollten, wurde eine sogenannte DSMA-Notice an die Medien geschickt. Die „Defence and Security Media Advisory Notice“ zielt darauf ab, dass Medien Namen aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht nennen. Dies dürfte auch erklären, warum der „Telegraph“ keinen Namen nennen mag (82).

 

Am 14. März erfolgte die zweite DSMA-Notice.

 

Angst

Skripals Nachbar und enger Freund Rick Cassidy berichtet, dass Skripal in Angst lebte: „Etwas hatte Sergei in den Wochen vor dem Anschlag in Angst versetzt. Er war nervös, ich weiß nicht warum, und er hat sogar sein Handy gewechselt.“ Auf der Fahrt zum Flughafen am 3. März hatte er das Gefühl, ein Auto verfolge sie.

 

Insgesamt schien Skripal für seinen Freund in einem „Zustand erhöhter Aufmerksamkeit“ gewesen zu sein (83). Was natürlich auch die Frage in den Raum stellt, ob Skripal über eine Videoüberwachungsanlage seines Hauses verfügt hat.

 

Am Tattag selber erschien Skripal ausgesprochen unruhig zu sein. Im Restaurant gab er sich sehr aggressiv. Ein Zeuge beschreibt: „Er hat nur geschrien und die Beherrschung verloren.“ Skripal forderte seine Rechnung und zahlte, sobald er sein Hauptgericht serviert bekommen hatte (84).

 

Besucher im Krankenhaus

Während Skripal lange Zeit im Krankenhaus um sein Leben kämpft und dann weitere Wochen dort seine Rekonvaleszenz verbrachte, wurde er hermetisch von der Außenwelt abgeschottet, sogar seinem engen Freund Cassidy wurde ein Besuch verboten.

 

Es überrascht daher umso mehr, dass der Journalist Mark Urban, der an einem Buch über Spionage nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb und in dem Zusammenhang vor dem Mordversuch bereits mehrere Interviews mit Skripal geführt hatte, offenbar Zugang ins Krankenhaus hatte. So schreibt Luke Harding, der sich auf Urbans frisch erschienenes Buch „Die Akte Skripal: Der neue Spionagekrieg und Russlands langer Arm in den Westen“ beruft, Skripal „zögerte zunächst zu glauben, dass die russische Regierung versucht hatte, ihn zu töten (…) anfangs mochte er nur ungern glauben, dass er das Ziel eines Kreml-Anschlages gewesen war“ (85).

 

Wieso passt dieses Bild so wenig mit dem Bild zusammen, dass Skripals Freund Cassidy von ihm zeichnet? Und wie kann es sein, dass ein Journalist scheinbar Zugang zu Skripal hat, aber enge Freunde ihn nicht besuchen dürfen?

 

 

...

 

VII. BEWEISSCHULD

Es ist in gewisser Weise tragisch, aber immer wieder muss man auf den Aspekt der Beweislast hinweisen.

 

Deutsche Bundesregierung braucht keine Beweise

Auch Deutschland hatte sich an der Ausweisung russischer Diplomaten im Zuge der Skripal-Affäre beteiligt, als sie drei Wochen nach der Tat vier russische Diplomaten des Landes verwies (86).

 

Drei Monate nach der Tat fragte ein Journalist von „Russia Today“, welche weiteren Faktoren über Nowitschok hinaus dafür sprechen, dass der mutmaßliche Angriff auf die Skripals durch Russland erfolgt ist. Regierungssprecher Steffen Seibert beantwortet dies, ohne zu antworten:

 

„Wir haben damals gesagt: Wir teilen die Einschätzung des Vereinigten Königreichs, dass es keine andere plausible Erklärung gibt. Diese Haltung ist weiterhin die Haltung der Bundesregierung.“ (87).

 

Zeitgleich musste die Bundesregierung im parlamentarischen Kontrollausschuss jedoch einräumen, dass sie die Entscheidung der Ausweisung russischer Diplomaten ohne Vorlage von Beweisen getroffen habe und weiterhin auf Beweise warte. Die Tagesschau schlussfolgert ungewöhnlich deutlich:

 

„Die Entscheidung, sich an der Ausweisung russischer Diplomaten zu beteiligen, erscheint damit mehr als fragwürdig.“ (88).

 

Interessant ist auch der Doppelstandard im Hinblick auf den Fall Kashoggi und Saudi Arabien. Während im Falle von Skripal und Russland die Bundesregierung russische Diplomaten ausgewiesen hat, bevor überhaupt eine Untersuchung in Gang gesetzt worden ist, bestehen sie im Hinblick auf Saudi-Arabien darauf, dass dem Rechtsstaat Genüge getan werde und man auf eine abgeschlossene Untersuchung besteht, bevor irgendwelche Konsequenzen gegenüber Saudi-Arabien gezogen werden (89).

 

Während die deutsche Regierung durchaus Kritik einstecken musste, erhält die russische Regierung für ihr Verhalten zu Beginn der Skripal-Affäre Rückendeckung aus unerwarteter Richtung. Russland hatte anlässlich einer Dringlichkeitssitzung der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW) angeboten, gemeinsam mit Großbritannien im Skripal-Fall zu ermitteln. Britische Diplomaten hatten den Vorschlag aus Moskau als „pervers" abgelehnt und Russland eine 48-Stunden-Frist gesetzt, um seine eigene Rolle aufzuklären (90).

 

Die russische Regierung hatte dieses Ultimatum zurückgewiesen und entsprechend verstreichen lassen.

 

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages schreibt hierzu in seinem Gutachten, die russische Regierung habe mit ihrem Angebot einer gemeinsamen Aufklärung, „zumindest formal seine Kooperationsbereitschaft bekundet“. Zudem sei „ein offenkundiger Verstoß Russlands gegen Kooperationsverpflichtungen aus dem Chemiewaffenübereinkommen nicht zu erkennen“ (91).

 

Richtige und falsche Fragen

Das Labyrinth Skripal ist ein Resultat des aktuellen Informationskrieges. Es hat den Anschein, dass beide Seiten Nebelkerzen zünden. Der US-amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon schrieb einmal:

„Wenn sie dich dazu bringen können, die falschen Fragen zu stellen, müssen sie keine Angst vor den Antworten haben.“

Die russische Seite sollte sicherlich darüber aufklären, ob Boschirow und Petrow die wirklichen Namen der beiden Verdächtigen sind und die Frage aufklären, warum sie am 4. März eine knappe halbe Stunde in Richtung des Wohnviertels gingen. Die britische Seite muss hingegen zwingend die Beweise auf den Tisch legen, ob und wann die Skripals nach 9.15 Uhr noch einmal nach Hause gekommen sind.

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