verlassener Theatersaal einer sowjetischen Basis in der DDR / заброшенный театр советской базы в ГДР, ГСВГ
Die DDR - eine schwere aber phantastische Zeit
(von B. Kalinowski in www.jungewelt.de)
Ekkehard Kiesewetter kommt im Februar 1934 zur Welt, als die Weltgeschichte in Deutschland ihr schwärzestes Blatt aufgeschlagen hat. Einige Jahre eher geboren – vier oder fünf – wäre er noch für Deutschlands letztes Aufgebot eingezogen und im sogenannten Volkssturm verheizt worden. Filmaufnahmen davon zeigen kindliche Gesichter mit den Schatten der Angst. Sie tragen lumpige Wehrmachtsuniformen und Gewehre über schmalen Schultern. Sie werden zum Töten an die Front geschickt. Kiesewetter hat Glück gehabt. Das Kriegsende erlebt er als Elfjähriger.
Aufbruch ins Neue
Die Gnade der späten Geburt macht aus Jahrgängen wie seinem die jüngste Aufbaugeneration der kommenden Jahre in der sowjetisch besetzten Zone und späteren Deutschen Demokratischen Republik. Nachkriegskinder. Offen für Zukunftsversprechen, neugierig und tatendurstig. Ja, so kann man sagen, bestätigt Kiesewetter und erzählt von damals: Bau auf, bau auf, sangen sie im Osten. Freie Deutsche Jugend, bau auf. Der Text eines Liedes ist das Ziel dieser Zeit und meint mehr als Wohnungen, Schulen, Kulturpaläste, Krankenhäuser, Kaufhäuser, Fabriken. Eine neue Gesellschaft soll entstehen. Frieden und Sozialismus – soziale Gerechtigkeit endlich. Programmatik des Unmöglichen? Vier Jahrzehnte später wird man sagen, es wäre eine Utopie gewesen – schön geträumt, aber nicht machbar. Der unerhörte 40jährige Versuch soll in seinen positiven Wirkungen vergessen oder lächerlich gemacht werden, besser noch diskriminiert. Die dabei waren – Menschen wie Kiesewetter – sagen, wir haben nicht nur davon geträumt, wir haben damit begonnen. »Es war unsere Hoffnung, entstanden aus der Geschichte, aus unseren Erfahrungen und aus unserer Zeit. Die Utopie ist nicht an der Utopie gescheitert, sondern an unseren Fehlern.« Kritische Erkenntnis – keine Aufgabe der Utopie.
Die Alternative begann in der Nachkriegszeit mit einem radikalen Umbau der kapitalistischen Verhältnisse: Bodenreform, Enteignungen, Verstaatlichung der Banken, Kultur für alle, Brechung des Bildungsprivilegs und wer weiß, was noch. Im proklamierten ersten deutschen Arbeiter-und Bauernstaat werden nun die Kinder von Arbeitern und Bauern bevorzugt – großes Geschrei darüber bis heute. Kiesewetter, Sohn eines Beamten, besucht trotzdem die Oberschule und studiert, was er möchte. Andere erzählen anderes. Kiesewetter jedenfalls hat nie eine Benachteiligung wegen seiner Herkunft erlebt. Im Gespräch im Oktober 2017 sagt er: »Natürlich war das Klassenkampf, agitatorisch und per Gesetz. Und es war eben auch meine Chance.« Nicht seine allein, die seiner Freundin Brigitte, Flüchtlingsmädchen aus Ostpreußen, ebenfalls. Später wird sie seine erste Frau. Beide gehen zur Oberschule, machen Abitur, studieren. Sie bei Victor Klemperer am Institut für Romanistik in Berlin, dann bei Werner Krauss in Leipzig, er an der 1953 gegründeten Theaterhochschule in Leipzig, die später nach dem von den Nazis ermordeten Schauspieler Hans Otto benannt wird. 41 Jahre später wird der Student Kiesewetter als Professor für Schauspiel an die Theaterhochschule zurückkehren. Von 1994 bis 2004 vermittelt er dem künftigen Bühnennachwuchs Handwerk, Geist und Leidenschaft.
Ekkehard Kiesewetter gehörte zu den ersten Studenten der neuen Theaterhochschule in der DDR. Am 11. Juni 1953 feiert er seine bestandene Aufnahmeprüfung zum Schauspielstudium. Er ist 19 Jahre und verrückt nach dem Leben. Seine damaligen Erwartungen sind heute Erinnerungen: Wir reden über Anfänge, Absichten und Ansprüche. Zeit-Geschichten, über Theater in der DDR und danach. Gesellschaftsbilder. Szenen seines Lebens. Wäre das Stoff für die Bühne, frage ich. Ja …, schon möglich, sagt Kiesewetter. Aber »natürlich will eine solche Geschichte heute keiner glauben. Egal – so war es eben auch in der DDR«. Es wäre eine Geschichtsstunde. Es ist seine Geschichte.
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verlassener Theatersaal einer sowjetischen Basis in der DDR / заброшенный театр советской базы в ГДР, ГСВГ
Die DDR - eine schwere aber phantastische Zeit
(von B. Kalinowski in www.jungewelt.de)
Ekkehard Kiesewetter kommt im Februar 1934 zur Welt, als die Weltgeschichte in Deutschland ihr schwärzestes Blatt aufgeschlagen hat. Einige Jahre eher geboren – vier oder fünf – wäre er noch für Deutschlands letztes Aufgebot eingezogen und im sogenannten Volkssturm verheizt worden. Filmaufnahmen davon zeigen kindliche Gesichter mit den Schatten der Angst. Sie tragen lumpige Wehrmachtsuniformen und Gewehre über schmalen Schultern. Sie werden zum Töten an die Front geschickt. Kiesewetter hat Glück gehabt. Das Kriegsende erlebt er als Elfjähriger.
Aufbruch ins Neue
Die Gnade der späten Geburt macht aus Jahrgängen wie seinem die jüngste Aufbaugeneration der kommenden Jahre in der sowjetisch besetzten Zone und späteren Deutschen Demokratischen Republik. Nachkriegskinder. Offen für Zukunftsversprechen, neugierig und tatendurstig. Ja, so kann man sagen, bestätigt Kiesewetter und erzählt von damals: Bau auf, bau auf, sangen sie im Osten. Freie Deutsche Jugend, bau auf. Der Text eines Liedes ist das Ziel dieser Zeit und meint mehr als Wohnungen, Schulen, Kulturpaläste, Krankenhäuser, Kaufhäuser, Fabriken. Eine neue Gesellschaft soll entstehen. Frieden und Sozialismus – soziale Gerechtigkeit endlich. Programmatik des Unmöglichen? Vier Jahrzehnte später wird man sagen, es wäre eine Utopie gewesen – schön geträumt, aber nicht machbar. Der unerhörte 40jährige Versuch soll in seinen positiven Wirkungen vergessen oder lächerlich gemacht werden, besser noch diskriminiert. Die dabei waren – Menschen wie Kiesewetter – sagen, wir haben nicht nur davon geträumt, wir haben damit begonnen. »Es war unsere Hoffnung, entstanden aus der Geschichte, aus unseren Erfahrungen und aus unserer Zeit. Die Utopie ist nicht an der Utopie gescheitert, sondern an unseren Fehlern.« Kritische Erkenntnis – keine Aufgabe der Utopie.
Die Alternative begann in der Nachkriegszeit mit einem radikalen Umbau der kapitalistischen Verhältnisse: Bodenreform, Enteignungen, Verstaatlichung der Banken, Kultur für alle, Brechung des Bildungsprivilegs und wer weiß, was noch. Im proklamierten ersten deutschen Arbeiter-und Bauernstaat werden nun die Kinder von Arbeitern und Bauern bevorzugt – großes Geschrei darüber bis heute. Kiesewetter, Sohn eines Beamten, besucht trotzdem die Oberschule und studiert, was er möchte. Andere erzählen anderes. Kiesewetter jedenfalls hat nie eine Benachteiligung wegen seiner Herkunft erlebt. Im Gespräch im Oktober 2017 sagt er: »Natürlich war das Klassenkampf, agitatorisch und per Gesetz. Und es war eben auch meine Chance.« Nicht seine allein, die seiner Freundin Brigitte, Flüchtlingsmädchen aus Ostpreußen, ebenfalls. Später wird sie seine erste Frau. Beide gehen zur Oberschule, machen Abitur, studieren. Sie bei Victor Klemperer am Institut für Romanistik in Berlin, dann bei Werner Krauss in Leipzig, er an der 1953 gegründeten Theaterhochschule in Leipzig, die später nach dem von den Nazis ermordeten Schauspieler Hans Otto benannt wird. 41 Jahre später wird der Student Kiesewetter als Professor für Schauspiel an die Theaterhochschule zurückkehren. Von 1994 bis 2004 vermittelt er dem künftigen Bühnennachwuchs Handwerk, Geist und Leidenschaft.
Ekkehard Kiesewetter gehörte zu den ersten Studenten der neuen Theaterhochschule in der DDR. Am 11. Juni 1953 feiert er seine bestandene Aufnahmeprüfung zum Schauspielstudium. Er ist 19 Jahre und verrückt nach dem Leben. Seine damaligen Erwartungen sind heute Erinnerungen: Wir reden über Anfänge, Absichten und Ansprüche. Zeit-Geschichten, über Theater in der DDR und danach. Gesellschaftsbilder. Szenen seines Lebens. Wäre das Stoff für die Bühne, frage ich. Ja …, schon möglich, sagt Kiesewetter. Aber »natürlich will eine solche Geschichte heute keiner glauben. Egal – so war es eben auch in der DDR«. Es wäre eine Geschichtsstunde. Es ist seine Geschichte.
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